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Meinung: Viel gelernt und nichts begriffen

Deutsche Schüler erreichen im internationalen Vergleich höchstens noch Mittelmaß. Nirgendwo sonst ist das Leistungsgefälle so groß, in kaum einem anderen Land haben es Kinder aus sozial schwachen Elternhäusern so schwer.

Deutsche Schüler erreichen im internationalen Vergleich höchstens noch Mittelmaß. Nirgendwo sonst ist das Leistungsgefälle so groß, in kaum einem anderen Land haben es Kinder aus sozial schwachen Elternhäusern so schwer. Die Fakten der Pisa-Studie müssten schockieren - und lösen doch nur die bekannten Pawlowschen Reflexe aus: Mehr Chancengleichheit fordern die einen, mehr Elitenförderung die anderen. Einig sind sich alle nur darin, dass schnell etwas passieren müsse. Am besten sofort.

Seit Jahren übertreffen sich die Politiker im Aktionismus: Sie wollen eine bessere Schule mit Organisationsrezepten herbeireden. Sie sollten wissen, dass Organisation nur geringen Einfluss auf die Inhalte in den Schulen hat. Schulexperten raten: Bloß keine pädagogische Rhetorik. Jetzt bloß keine Hektik.

Guido Westerwelle hält das nicht davon ab, mit dem ihm eigenen schnellen Mundwerk erneut von den verschnarchten Kultusministern zu sprechen und eine Lösung in einem Bundesschulministerium zu sehen. Das geht weder von der Verfassung her, noch würde es etwas für einen besseren Unterricht in den Klassen bringen.

Um es deutlich zu sagen: Abitur nach zwölf Jahren und möglichst noch mehr Stunden für Deutsch, Englisch, weitere Fremdsprachen, Naturwissenschaften und Mathematik - solche populären Forderungen bringen eine Überforderung jener Schüler, die nicht zu den besonders Begabten gehören. Was Deutschland im internationalen Vergleich der führenden Industrieländer herunterreißt, sind die katastrophalen Ergebnisse im unteren Sozialbereich und nicht die besseren, aber keineswegs herausragenden Ergebnisse der Gymnasiasten.

Das große Problem deutscher Schulen liegt darin, dass es dort schlechter als anderswo gelingt, Kinder aus sozial schwachen Familien zu fördern und zu fordern. Das Scheitern der späteren Schüler ist programmiert: in Familien, in denen nur gebrochen oder überhaupt nicht Deutsch gesprochen wird, in denen die Eltern keine Geschichten erzählen, nicht die Neugier der Kinder wecken oder auf Fragen, wenn sie denn gestellt werden, kaum antworten.

Weil die sozialen Probleme kaum zu ändern sind, müssen die entscheidenden Weichen im Kindergarten und in der Grundschule gestellt werden. Die Grundschule ist aber in Deutschland - das hat die OECD bewiesen - die am schlechtesten ausgestattete Schule.

Der nächste Fehler, in den Politiker jetzt wieder verfallen könnten, wäre eine Aufwärmung der alten Debatte, ob die Gliederung in Hauptschulen, Realschulen, Gymnasien und Gesamtschulen richtig ist. Wenn in Deutschland früh selektiert wird - in der vierten Klasse in fast allen Bundesländern -, dann müssen alle Chancen für Spätentwickler offen bleiben. Es kommt auf eine bessere Durchlässigkeit an. Auch das beweist Pisa.

Die Kultusminister wissen das. Alle haben die bittere Lektion lernen müssen, dass das deutsche System, den Stoff in Klassenarbeiten abzuhaken, um die überbordenden Lehrpläne zu erfüllen, am Ende nicht das erwartete Wissen bringt. Die Kultusminister wollen den anderen Weg gehen: Eltern und Lehrer über die empirischen Befunde informieren, die Mütter ausländischer Kinder und deutscher Kinder stärker für die Bildungsaufgabe zu gewinnen. Vor allem aber müssen sie bei der Lehrerbildung für eine radikale Umkehr sorgen. Dies wird an den Universitäten vernachlässigt. Auch ein Umdenken der Lehrerrolle tut not. Leistungsanspruch und Autorität sind keine Schimpfworte.

Dahin zu kommen, ist das Ziel. Und dazu brauchen die Pädagogen Zeit. Sechs bis acht Jahre werden ins Land gehen - sagen Kenner. Wenn es schneller gehen sollte, wäre es ein Wunder.

Uwe Schlicht

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