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Joffe

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Vier Fragen an Josef Joffe: Was macht die Welt?

Nach dem Tod von Osama bin Laden: Herrscht nun Friede, Freude, Revolution? ZEIT-Herausgeber Josef Joffe macht sich so seine Gedanken über den Binladismus.

Osama bin Laden ist tot. Ist das ein Grund zur Freude?

Nur, wenn man ein Ami ist, unbefleckt von christlicher Gnade und progressivem Gedankengut. Wiedergutgewordene Deutsche finden die Aktion barbarisch, ungesetzlich und alttestamentarisch. Wir glauben nicht an Rache, sondern Rehabilitation; deshalb wären wir mit einem Haftbefehl vor der Festung aufgetaucht und hätten uns vorher angemeldet. Hätten sich die Binladinisten nicht ergeben, wären Polizeipsychologen aufmarschiert. Denn das Böse ist in Wahrheit nur gestörte Sozialisation. WmdW findet auch, dass die Russen 1945 am Führerbunker hätten anklopfen müssen, statt das Ding erst einmal zusammenzuschießen.

Osama bin Laden ist tot. Stirbt nun auch der Binladinismus?

Der ja, aber nicht der Al-Qaida-Terror. AQ ist keine leninistische Truppe, die nur enthauptet werden müsste, um sie unschädlich zu machen. AQ ist mehr wie McDonald’s – ein weitverzweigtes Franchise, dessen Ableger lokal geführt werden. Siehe „AQ im Jemen“ oder „AQ auf der Arabischen Halbinsel“. Tot ist der Mann, nicht die Maschine. Die wird jetzt versuchen, zurückzuschlagen, um zu beweisen, dass sie noch lebt. Dennoch: Tot ist auch ein Mythos, der viel Macht über AQ und den Islamismus hatte. Der nächste Führer wird nicht die charismatische Kraft eines OBL haben.

Osama bin Laden ist tot. Wie belastet ist das Verhältnis USA–Pakistan?

Eine komplizierte Geschichte. Teile des pakistanischen Regimes haben immer auf beiden Schultern getragen. Sie haben von den USA Geld und Waffen genommen und zugleich die Taliban und AQ in Afghanistan unterstützt. Unvorstellbar ist es, dass der Geheimdienst den Aufenthaltsort von bin Laden nicht kannte. Nur: Die USA und Pakistan bleiben aneinandergekettet. Islamabad will nicht mit dem Erzfeind Indien alleingelassen werden; Washington weiß, dass Pakistan zugleich Teil des Problems und Teil der Lösung in Afghanistan ist.

Noch ein Wort zu bin Laden ...

Aller guten Dinge – genauer: Fragen – sind vier. Warum gerade jetzt, fragt der grübelnde Verstand? BLs Tod symbolisiert womöglich eine Zeitenwende, die im Arabischen Frühling angelegt ist: Der demokratische Aufbruch ist das Nein zur reaktionären Utopie des Islamismus. Und das Ja zu Öffnung, Modernisierung und Freiheit – 20 Jahre nach dem Mauerfall. Diese Bewegung könnte – Konjunktiv! – mächtiger sein als Drohnen und Spezialkräfte. Wenn Menschen eine bessere Zukunft, und zwar eine selbst gemachte erblicken, werden sie dem falschen Versprechen des Terrorismus nicht mehr auf den Leim gehen. Terror vernichtet; er sät Angst und Hass, lässt aber nichts wachsen.

Josef Joffe ist Herausgeber der „Zeit“. Die Fragen stellte Malte Lehming.

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