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Volksabstimmungen: Das Volk am Steuer

Auch das Minarettvotum in der Schweiz kann die direkte Demokratie nicht diskreditieren.

Wenn sich jemand in Deutschland über das vom Schweizer Volk verordnete Minarettverbot freuen kann, dann sind es Politiker, die ohnehin nichts von direkter Demokratie halten. Der nordrhein-westfälische Integrationsminister Armin Laschet zum Beispiel spricht von „einem Problem“ mit Volksabstimmungen und erläutert, er sei „froh“, dass Deutschland eine „viel klügere Verfassung“ habe, die Referenden wie in der Schweiz nicht zulasse.

Das wirkt in etwa so, als erkläre ein Vater seinem 18-jährigen Sohn, dass er auf keinen Fall das Auto steuern darf, obwohl er doch gerade den Führerschein bekommen hat. Laschet malt auch schon einen vermeintlichen Unfall an die Wand. „Ich möchte nicht, dass da abgestimmt wird über den Bau von Kirchen oder über Glockengeläut am Sonntagmorgen“, sagt der CDU-Politiker. „Oder sollen wir in Deutschland über den Bau von Synagogen abstimmen?“

Damit das nicht passiert, will Laschet also am liebsten selbst am Steuer sitzen bleiben. Aber wie ein einzelner Unfall kein Beweis dafür ist, dass Millionen nicht fahren können, so taugt auch das Abstimmungsergebnis in der Schweiz nicht zum Allzweckargument gegen mehr Mitbestimmung.

Die plebiszitäre Demokratie ist nicht nur eine sehr alte Staatsform, die in der griechischen Polis ihre erste Blüte erlebte, sie ist auch eine sehr moderne Variante, wie sich Gemeinwesen effizient organisieren lassen. Ein bisschen aber ist es wie mit Onlineforen im Internet. Vieles, was darin unter dem Deckmantel der Anonymität geschrieben wird, mag anrüchig erscheinen. Trotzdem es wäre ein Fehler, die Diskussion im Netz allein deshalb nicht ernst zu nehmen.

Auch die Schweizer übrigens haben erst unter dem Schutz der geheimen Stimmabgabe ihre wahre Absicht artikuliert. In den Umfragen vor der Abstimmung hatten stets die Befürworter von Gebetstürmen vorne gelegen – viele der Gegner hatten sich wohl nicht getraut, ihre Meinung den Demoskopen zu offenbaren.

Hier liegt auch das größte Problem direkter Demokratie. Das Votum der Schweizer trägt Zeichen von Sprach- und Verantwortungslosigkeit. Wer gegen das Minarett stimmte, konnte dies in dem Bewusstsein tun, die Kosten einer solchen Entscheidung nicht selbst tragen zu müssen. Das muss nun die Schweizer Regierung tun, die gegen das Verbot war und es bald wahrscheinlich vor europäischen Gerichten verteidigen muss.

Das ist keine angenehme Aufgabe, weil sie Politikern die Rolle von Dienstleistern zuweist und ihnen enorme Lernprozesse abverlangt. Wie man es nicht machen sollte, hatte in Berlin Klaus Wowereit gezeigt, der bei den Abstimmungen über Pro Reli oder den Flughafen Tempelhof nicht den Eindruck erweckte, als könne er das Steuer aus der Hand geben. Anders in Hamburg: Dort versucht Ole von Beust zurzeit einen Kompromiss mit den Gegnern seiner Schulreform zu finden, um eine Abstimmungsniederlage zu verhindern. Das kann in jeder Hinsicht lehrreich sein.

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