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Meinung: Volksballast

Kein Ende der Palast-Schloss-Debatte: Doch die Frage bleibt, was in Berlins Mitte gebaut werden soll

Als in den Boom-Jahren nach der Wiedervereinigung heftig gebaut wurde, fanden die angesagtesten Feste in Rohbauten statt – oder in Altbauten vor der Sanierung. Die Adressen wechselten, die Szene blieb dieselbe. Berlin erwarb sich einen Ruf als Stadt der interessanten locations. Nachtbar im Kohlenkeller? Oper im E-Werk? Konzert in der Baugrube? Wunderbar. Nun lockt das asbestbefreite Gerippe des „Palastes der Republik“. In der kommenden Woche wird ein dreimonatiges Veranstaltungsprogramm unter dem Titel „Volkspalast“ vorgestellt. Der griffige Name appelliert an die Erinnerungen von DDR-Bürgern, die den Vorzeigebau der Honecker-Zeit als Ort ungetrübter Geselligkeit schätzen gelernt haben.

Das ist der Punkt, wo die Suche nach dem trendigsten Ort in die Debatte über die Gestaltung der Mitte Berlins übergeht. Alles andere ist alles andere – der Palast aber, wie entkernt und entsorgt er auch sein mag, ist mehr als ein vorübergehender Veranstaltungsort. Er ist das gebaute Manifest der konsequent verfolgten SED-Politik, die Vergangenheit des preußischen Berlin auszutilgen und durch die sozialistische „Hauptstadt der DDR“ zu ersetzen. Wo das Schloss der Hohenzollern stand, erhebt sich seit den siebziger Jahren der „Palast der Republik“ als Gegenentwurf.

Nach jahrelangen Debatten beschloss der Bundestag mit deutlicher Mehrheit, an dessen Stelle ein dem einstigen Schloss äußerlich nachgebildetes Bauwerk zu errichten, als Sitz der als „Humboldt-Forum“ bezeichneten Verbindung von Museen, Bibliothek und Wissenschaft. Doch weil an Finanzierung nicht einmal zu denken ist, musste das Schloss-Vorhaben vertagt werden – ob nur auf die Zeit des öffentlich eingeräumten „Moratoriums“ von zwei weiteren Jahren oder ganz auf den Sankt-Nimmerleins-Tag, wagt derzeit niemand zu raten. Stattdessen soll das vom Palast-Gerippe freigeräumte Areal mit Rasen begrünt werden.

So kam, was man erwarten musste: Hat die Politik – mangels Geld oder eher mangels Tatkraft – keine zukunftsweisende Perspektive zur Hand, frohlocken die Verteidiger des Status quo. Nur was man vor sich sieht, kann man sich vorstellen: Und sei es ein seiner Ausstattung entledigter Bau, der allein als Mythos seine einstige Bedeutung ins Gedächtnis ruft.

Wie seit jeher in der Palast-Schloss-Debatte, spielen die Beteiligten mit gezinkten Karten. So, wie die Abrissbefürworter die Asbestverseuchung des Gebäudes als willkommenes „Sach“-Argument heranzogen, malen die Palastbefürworter jetzt das Schreckgespenst explodierender Kosten für dessen Beseitigung an die Wand. Arbeitete die Zeit zunächst für die eine Seite, so jetzt für die andere – die immerhin eine Nutzung anzubieten hat statt einer Wiese.

Es geht nicht, so wenig wie zuvor, um temporäre Erwägungen von „Zwischennutzung“ und „Kulturattraktion“. Es geht unverändert um die Mitte der Stadt. Was soll im Herzen Berlins, am geschichtsträchtigsten Ort zwischen den beiden Spreearmen, für die Dauer gebaut werden? Was soll dort stattfinden? In welchem Bauwerk, welcher Nutzung will sich die Bundesrepublik Deutschland in der Mitte ihrer Hauptstadt erkennen?

Auf diese Fragen hatte sich, durch das bemerkenswert sachliche Verfahren der Schlossplatz-Kommission, ein Konsens gebildet, der Ausdruck fand in eben jenem Bundestagsvotum für Schloss-Kopie und Humboldt-Forum. So richtig angekommen ist diese Entscheidung in Berlin indessen nicht. Und mit wachsendem Abstand betrachtet, stellt sich in der Tat die Frage, ob die – durch mancherlei Zufälle beförderte – Fixierung auf die wissenschaftlich-museale Nutzung die einzig denkbare ist, zumal mit Humboldt-Universität und Museumsinsel zwei Schwergewichte der preußischen Bildungstradition in der Nachbarschaft glänzen.

Um diese Diskussion geht es – nicht um ein paar Event–Monate zwischen abgeschabten Stahlträgern. Die location-scouts werden gewiss neue Veranstaltungsorte aufspüren. Die Mitte Berlins zu formen jedoch bleibt eine Aufgabe, die aller Anstrengung der Republik wert ist – der geistigen und anschließend der finanziellen.

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