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Meinung: Von den Rennmäusen lernen

Pascale Hugues, Le Point

Auf den Straßen von Berlin lebt ein glückliches und gebärfreudiges Völkchen. Als ich vor ein paar Tagen spät abends nach Hause kam, saß mitten auf der Straße ein Fuchs. Das Scheinwerferlicht störte ihn nicht weiter. Mit glänzenden Augen und leicht gesträubtem Haar ließ er keinen Zweifel daran, wer der Herr der Straße ist. Er wohnt zwischen dem Supermarkt und dem Springbrunnen am Ende der Straße, sicher der Ort, an den er heimlich seine Kleinen zum Trinken führt, nachts, wenn das Viertel im Tiefschlaf liegt. Vorige Woche schlenderte am hellen Tag eine dicke Kaninchenmutter mit ihren drei Nachkommen über den Rasen am Viktoria-Luise-Platz; eine trächtige Ratte hüpfte die Mülleimerreihe vor dem Schwimmbad entlang. Welcher Jogger wäre im Grunewald noch keiner Wildschweinrotte begegnet oder auf dem Uferpfad an der Spree noch keiner Rattenkolonie ausgewichen? Berlin ist die deutsche Stadt mit den meisten Hunden. Es ist die Hauptstadt der Hundehaufen, die auf Bürgersteigen und in den Parks herumliegen.

Seit dem triumphierenden Einzug des Frühlings hat unsere Straße sich in eine Volière verwandelt: Bei Tagesanbruch beginnen die Amseln zu zwitschern, und in der Dachrinne des Hauses gegenüber baut eine Schwalbe ihr Nest. Und schon bald wird eine Dynastie von Motten in unsere Schränke einfallen und sich über unsere Lieblingspullover hermachen. Keine Woche vergeht, ohne dass Zoo oder Tiergarten die Ankunft eines Pandababys oder eines kleinen Elefanten verkünden. Die ganze Stadt ist begeistert, lange Schlangen bilden sich vor den Käfigen, in denen man den neuen Weltbürger bewundern kann. Ob unter den gerührten Blicken der Besucher, ob auf dem öffentlichen Rasen, vor dem Supermarkt oder hinter den Mülltonnen des Schwimmbads – die Tiere von Berlin paaren sich unentwegt und erzeugen große Familien.

Das lässt die Demografen dieses von Entvölkerung bedrohten Landes vor Neid erblassen. Die Tiere machen sich in der Stadt breit, während die Kinderwagen auf den Bürgersteigen immer seltener werden. Die Tiere vermehren sich begeistert, während die Menschen sich nur zögerlich und nach mühsamen Beratungen dazu entschließen können. Jetzt oder später? Habe ich den idealen Partner gefunden? Wird mein Geld reichen? Muss ich ein neues Auto kaufen? Die beiden Rennmäuse, die seit kurzem bei uns im Kinderzimmer wohnen, stellen sich solche Fragen nicht: Sie können alle 4 bis 6 Wochen durchschnittlich 1 bis 5 Junge bekommen – aber auch 11. Wenn man bedenkt, dass eine Rennmaus nach 7 bis 12 Wochen geschlechtsreif wird und bis zum Alter von 2 Jahren zeugungsfähig bleibt, kommt man nach einem kurzen Überschlag zu dem Schluss, dass man weit, sehr weit von den mageren 1,4 Kindern entfernt ist, die eine deutsche Frau bekommt, wenn sie durchschnittlich mit 30 Jahren beginnt, über Kinder nachzudenken. Engelbert Kötter, Verfasser von „Rennmäuse, glücklich und gesund“, der Bibel, die ich vor dem Einzug der neuen Bewohner eingehend studiert habe, ist sich wohl bewusst, welche Konsequenzen sich aus einer derartigen Triebtätigkeit ergeben: „Wohin mit dem Kindersegen? Es kann sich als schwierig erweisen, all den Nachwuchs in liebevolle Hände zu vermitteln. Denken Sie bitte rechtzeitig daran.“ Die Rennmäuse wissen weder etwas vom Babyblues noch von den endlosen Verhandlungen, die der Ankunft eines zweiten Kindes vorausgehen. Bei den Rennmäusen kennt man keine erschöpften Wöchnerinnen ohne Libido, keine Einzelkinder und keine Väter, die vor der Verantwortung für mehrere Sprösslinge zurückschrecken. „Kurz nach der Geburt“, schreibt Kötter, „ist das Weibchen erneut paarungsbereit– eine Gelegenheit, die das Männchen häufig nützt. Erregt trommelt es mit den Hinterpfoten und beginnt, sie stürmisch durch das Areal zu treiben.“

Oh, wie einfach könnte es sein! Würden die Deutschen dem Beispiel der Rennmäuse folgen, wäre die demografische Krise in null Komma nichts gelöst! Aber Menschen sind keine Mäuse. Und auch ich war eher feige. Ich habe unseren Rennmäusen eine radikale Verhütungsmethode aufgezwungen. Ich habe mich für zwei Männchen entschieden. Sie sind nicht so zickig wie die Weibchen, sagt der Zoohändler, und bis auf weiteres ist es absolut sicher, dass sie nicht schwanger werden.

Aus dem Französischen von Elisabeth Thielicke

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