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Meinung: Von der Würde des Sterbens

Terri Schiavo, der Papst – oder: wie die Medien den Tod skandalisieren Von Freimut Duve

Zur Würde des Menschen gehört die Würde des Sterbens. Das wohl erfolgreichste Bild der Menschheitsgeschichte ist Jesus am Kreuz. Unser Grundgesetz beginnt: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“

In den USA hatte es einen erbitterten Gefühlskrieg gegeben über das Sterben der seit anderthalb Jahrzehnten im Koma liegenden Terri Schiavo. Modernste medizinische Techniken haben nicht das Leben in Würde von Terri Schiavo verlängert, sondern den medizinischen Tod hinausgezögert. Das von den Medien immer wieder weltweit verbreitete Foto der Komakranken war ein sehr problematischer Umgang mit der Würde des Sterbens. Die politisierten Demonstranten behaupten, für das Leben zu streiten – im Kern streiten sie hier um die medizintechnische Verzögerung des Todes. Was hat das mit dem christlichen Glauben zu tun? Nach Terri Schiavos Tod ist die ideologisch geprägte emotionale Kampagne gewiss nicht zu Ende. Auch die Medien werden sie weiter ausnutzen.

Das Fernsehen hat unser Bewusstsein von der Würde des Menschen verändert. Die Medien haben eine bis dahin kaum gekannte Weltneugier auf den Tod entfacht und zu einem globalen Marktprodukt entfaltet. Ein Foto der Komapatientin wurde neben einem alten Jesusgemälde verbreitet – als Propagandamotiv.

Lange bevor der Tod des Papstes amtlich mitgeteilt wurde, waren die Nachrichten von seinem Ableben (ein uraltes Wort) global medialisiert. Nachrufe sind als Vorrufe geschrieben worden – nicht hunderte sondern tausende. So hat die ganze Welt teilgenommen am Sterben des Papstes. In aller Regel geschah das nicht ohne den Respekt vor der Würde des Sterbens eines Bürgers, der zugleich Weltoberhaupt einer der großen Religionsgemeinschaften war.

In Würde sterben, das ist unser aller stiller Wunsch. Seit es uns Menschen gibt, empfinden wir Freude an der Geburt der neuen Menschen – oft begleitet von sehr gemischten Empfindungen über den Verlauf unseres Lebens – und Achtung vor der Würde des Sterbens. Auch Opfer von Attentaten, von Verkehrsunfällen haben einen Anspruch auf unser Gedenken in Würde.

Die journalistisch Verantwortlichen sollten sich auch in den Medien des 21. Jahrhunderts dieser uralten – und nun wieder neuen – Herausforderung stellen. Der Sensationshunger der Bürger muss diese Grenze respektieren. Denn die Würde des Menschen ist unantastbar.

Einer der vielen unmenschlichen Gründe für das Töten anderer Menschen ist der, ihnen die Würde des Sterbens zu nehmen. Historisch gehört dieses Motiv zu den tieferen Gründen der öffentlichen Hinrichtungen – auch der Kreuzigung, dem dramatischen, aber auch zynischen Zentralereignis unserer christlichen Geschichte. Die Neugier, hinter die Vorhänge zu gucken oder zu gaffen, hat alle Weltkultur begleitet. Der Islam hat sie radikal unterbunden durch sein Bildverbot seit über tausend Jahren. Aber auch unter der Jugend in islamischen Ländern verändert sich die Weltneugier und wird zur Bildneugier. Doch in die persönlichen Körperlichkeiten dringt diese Neugier bisher nicht ein.

Mit der Form des Massenprotestes gegen den Tod Terri Schiavos haben sich die politisierten Gläubigen von der Würde des Sterbens abgewandt hin zu einem propagandistischen Missbrauch der Würde einer Mitbürgerin.

Wir alle brauchen, wie es scheint, die Erneuerung der uralten Diskussion über den medialen Umgang mit der Würde des Sterbens. Sie ist ein wesentlicher Aspekt der Würde des Menschen.

Der Autor ist Medienbeauftragter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa.

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