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Meinung: Von Kohl lernen

Mit ihrem Wahlprogramm setzt die Union das deutsch-polnische Verhältnis aufs Spiel

Warum die CDU in ihrem Wahlprogramm ohne Not in das größte Minenfeld der deutsch-polnischen Beziehungen hineintappte, bleibt das Geheimnis Angela Merkels. Es ist jedenfalls ein wenig kühn, ein halbes Jahr, nachdem sich Polen und Deutsche nach mühsamen Verhandlungen auf ein Netzwerk gegen Vertreibungen mit Sekretariat in Warschau geeinigt haben, nun auf einmal wieder ein vom Bund unterstütztes „Zentrum gegen Vertreibungen“ auf deutschem Boden zu fordern.

Dass ein solches Gedenkzentrum weder in Polen noch anderswo in Osteuropa auf Gegenliebe stößt und somit eine rein deutsche Angelegenheit zu werden droht, scheint der Union egal zu sein – der Beschluss des Deutschen Bundestages von 2002, der ganz explizit ein europäisches Zentrum forderte, wohl auch. Ein Zentrum gegen Vertreibungen macht Angst bei den Nachbarn in Polen. Viele Parolen und Ängste gerade nationalistischer Politiker dort sind unbegründet und falsch. Ein Verdacht jedoch bleibt bestehen: Wieso treibt ausgerechnet das für den Zweiten Weltkrieg verantwortliche Land ein solches Zentrum voran, warum soll es ausgerechnet in Berlin angesiedelt sein, und warum sind die maßgebliche Kraft dahinter ausgerechnet die deutschen Vertriebenenverbände? Geht es da nicht doch um Aufrechnung von Schuld?

Meint die Union ihre Programmforderung tatsächlich ernst, dann würde die Partei nicht nur die deutsch-polnischen Beziehungen belasten, sondern auch ihre eigene Politik hintertreiben. Für die Partei der Westbindung war der Verzicht auf die verlorenen Gebiete jenseits der Oder lange ein Tabu, und die Rolle von CDU und CSU als Hüter der Vertriebenenverbände war und ist keinesfalls nur Traditionspflege. Trotzdem waren es gerade CDU/CSU und die unionsnahe Konrad-Adenauer-Stiftung, die Lech Walesa und die Gewerkschaft „Solidarnosc“ unterstützt haben – lange vor der SPD. Ein demokratisches und freies Polen lag im Interesse der Union.

Als dann Helmut Kohl gemeinsam mit dem damaligen polnischen Premier Tadeusz Mazowiecki 1990 den endgültigen Verzicht auf Gebietsansprüche jenseits der Oder bekannt gab, schien die Union angekommen zu sein in der Realität des deutsch-polnischen Verhältnisses. Es war ein CDU-Kanzler, der Polen in die EU führte und für die NATO empfahl, es war ein CDU-Kanzler, der den Jugendaustausch belebte und die Grenze durchlässig machte. Ausgerechnet die Konservativen legten so den Grundstein für die Freundschaft zwischen beiden Völkern – um sie jetzt wieder zu gefährden.

Zwei eher unterschiedliche Charaktere werden sich freuen über das Unionsprogramm. Zum einen Erika Steinbach, die als Vorstandsmitglied den CDU-Programmpassus wohl maßgeblich mitgeschrieben hat. Die in Polen höchst umstrittene Vertriebenen-Chefin hatte sich eigentlich schon darauf eingestellt, das umstrittene Zentrum alleine in Berlin zu bauen. Ein staatlicher Anstrich und womöglich finanzielle Hilfen vom Bund tun da gut.

Zum anderen Lech Kaczynski. Der nationalpopulistische Bürgermeister von Warschau kann jetzt wieder mit einer Parole in den Präsidentschaftswahlkampf im Herbst ziehen, die schon seit Jahren in Polen populär ist – auch wenn sie unsinnig bleibt: Wenn Deutschland ein Vertriebenenzentrum baue, sei auch bald mit Reparationsforderungen der Vertriebenen an Polen zu rechnen. Vorsorglich hat Kaczynski schon einmal ausgerechnet, wie viel Geld Polen dann im Umkehrschluss von Deutschland will: 40 Milliarden Euro.

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