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Von Lena bis Lierhaus: Die Vermessung der Gefühle

Monica Lierhaus, Lena, Revolution in Ägypten - die Bilder lösen Emotionen aus. Manches ist Inszenierung, aber Künstlichkeit allein diskreditiert noch kein Gefühl. Den Unterschied zwischen Emotion und Promotion zu erkennen, ist gar nicht so schwer.

Komische Gefühle. Eine Woche lang nichts als komische Gefühle. Da tritt – acht Tage ist es her – Monica Lierhaus vor ein Millionenpublikum, unsichere Schritte, der Stimme kaum mächtig, auferstanden aus schwerer Krankheit. Und wer kein Herz aus Stein hat, ist diesem Augenblick erlegen, zu Tränen gerührt. Aber schon am Tag danach die schale Erkenntnis: War alles nur Inszenierung, minutiös vorbereitet, „Bild“-Interview inklusive. Was für eine Ernüchterung. Muss man sich seiner Gefühle schämen? War es ein falsches Gefühl? Können Gefühle überhaupt falsch sein?

Anderes Gefühl: Lena ist wieder da, der kleine Schneewittchen-Traum vom letzten Jahr. Singt zwei Abende lang im Fernsehen, hat zwölf neue Lieder gelernt, bringt ein Album heraus, TV-allgegenwärtig. Zwölf Frisuren, zwölf Kleider. Aber etwas fehlt. Dieses Lena-Gefühl, diese unschuldige, herzwärmende Überraschung. Aber diesmal wärmt nichts, seltsam kühl ist es auf einmal. Puppet on a string in einer Medienmaschine der Firma Raab. Kalkuliert, inszeniert, und kein Zauber stellt sich ein. Dünne Stimme, dünne Texte. Wo ist die Leichtigkeit vom vergangenen Jahr? Können Gefühle widerrufen werden?

Großes Gefühl. Die Massen auf dem Tahrir-Platz in Kairo. Junge Gesichter, auf die Hoffnung geschrieben ist und Zorn zugleich. Menschen, die ihre Zukunft ergriffen haben und nicht mehr loslassen wollen, tagelang, zwei Wochen lang. Und schließlich der Triumph. Eine Revolution vor aller Augen. Keine Inszenierung, sondern Wirklichkeit. Endlich ein wahres Gefühl, ein richtiges Gefühl

So einfach ist das. Ist das so einfach?

Dass die Inszenierung, die Künstlichkeit also, das Gefühl diskreditiert, ist ja gar nicht wahr. Nichts beweist das besser als jenes Emotionsspektakel, das dieser Tage Tausende in die Berlinale-Säle treibt. Nichts als Inszenierungen, 385 Filme lang, Lachen und Weinen aus der Retorte. Geliehene Gefühle – und doch echte Tränen. Wo ist der Unterschied zwischen falsch und richtig?

Wobei man es sich an dieser Stelle leicht machen könnte: Das eine lässt sich vom anderen in einer Mediengesellschaft ohnehin nicht säuberlich trennen, und wer das echte Gefühl vom falschen scheiden wollte, ist ein naiver Romantiker. Politik ist Inszenierung, Kunst sowieso, und wenn der Standesbeamte sagte: „Sie können jetzt die Braut küssen“, dann hat die Inszenierung auch das Private erreicht. Der schöne Schein ist überall. Wenn Guttenberg verreist, ist Kerner dabei. Die Wirklichkeit ist die Wirklichkeit der Bilder.

Und doch gibt es einen Unterschied. Er heißt Interesse. Es ist der Unterschied zwischen Emotion und Promotion. Keiner wird das Lierhaus-Gefühl schal schelten, wenn Rührung entsteht, weil sich da eine Frau zögernd und zitternd ins Leben zurücktastet. Aber jeder spürt sofort, wenn das Kalkül die Regie übernimmt und deutlich wird, dass ein (Mit-)Gefühl benutzt wird für ein Interesse, das der Person gar nicht mehr gilt; das Schicksal einer Person gebraucht, missbraucht wird. Und das Private plötzlich Teil eines Profitapparats geworden ist. Und Lena hat verloren, wenn die Kasse lautere Töne von sich gibt, als ihre Stimme das je könnte.

Um diesen Unterschied herauszufinden, bedarf es übrigens gar keiner besonders feinen Sensoren. Es genügt Goethes Grundsatz: Man merkt die Absicht, und man ist verstimmt.

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