zum Hauptinhalt
Der neu ernannte Reichskanzler Adolf Hitler grüßt nach der Machtübernahme am 30. Januar 1933 aus einem Fenster in Berlin heraus den vorbeiziehenden Fackelzug. Neben ihm stehen Innenminister Wilhelm Frick, Reichsminister Hermann Göring und der spätere Stellvertreter Hitlers, Rudolf Heß.

© dpa

Vor 80 Jahre kam Hitler an die Macht: Ein Rätsel, bis heute

War es eine "Machtergreifung" oder eine "Machtübergabe" seitens der konservativen Eliten? Wie dem auch sei: Dass aus Hitlers Coup im Januar 1933 das Verbrechen des Jahrhunderts erwachsen konnte, und das mit vielfältiger Unterstützung, bleibt ein Rätsel.

Nur so viel ist sicher: Am 30. Januar 1933 übernahm Adolf Hitler das Amt des deutschen Reichskanzlers. Aber schon die Bilder lügen. Die eindrucksvollen Schwarz-Weiß-Aufnahmen vom Fackelzug der SA-Braunhemden durchs Brandenburger Tor sind nachgestellt. Die inszenierte Aufnahme ist wie ein Präludium zu all dem, das fortan im Deutschen Reich als „Wahrheit“ ausgegeben werden sollte: pure Propaganda.

Um wie viel mehr im Unklaren liegt das, was tatsächlich an diesem Tag vor 80 Jahren geschah. War es eine „Machtergreifung“, wie Hitlers Aufstieg zum mächtigsten Mann im Reich stets bezeichnet wurde? Oder war es eine „Machtübergabe“ seitens der konservativen Eliten, die sich gegen eine sozialistische Umwälzung absichern wollten? Kam Hitler wie ein Mephisto übers deutsche Volk, oder haben sich die Menschen wissentlich dem selbst ernannten Heilsbringer ausgeliefert? Haben sie ihn gewählt, oder hat er die Wahl usurpiert?

Von alledem ist ein Stückchen richtig. Wir, die wir heute durch die europäische Krise gleiten, als ob es keine gäbe, können uns in unseren schlimmsten Albträumen nicht ausmalen, welche Auswirkungen die Weltwirtschaftskrise damals hatte. Sechs Millionen (registrierte) Arbeitslose, die allesamt Familien zu ernähren hatten, bereit, für ein paar Groschen alles zu tun, was nach Arbeit aussah. Eine Wirtschaft, die um die Hälfte geschrumpft war, mangels Kaufkraft, und dazu die Last der Auslandsverschuldung, die der Weimarer Republik die Scheinblüte der späten zwanziger Jahre beschert hatte. Und vor allem eine Demokratie ohne Demokraten, von rechts wie von links angefeindet, verhöhnt, ausgezehrt. Das war der Boden, der die Nazi- Partei zur 44-Prozent-Größe wachsen ließ, wenngleich erst im März 1933 und unter Druck und Drangsal.

Hitler war kein Mephisto. Sein Aufstieg vollzog sich vor aller Augen.

Zu behaupten, die Wähler und Sympathisanten, die Mitmacher und Mitläufer hätten damals bereits gewusst, worauf Hitler unbeirrbar zusteuerte, trifft sicher für viele zu. An warnenden Stimmen hat es nicht gefehlt. Aber nicht alle konnten es ahnen. Wir Heutigen wissen es – vom Ende her, und das Ende war fürchterlich. Damals ging es um die Hoffnung, dass sich die Dinge ändern würden, zum Besseren, irgendwie. So konnten es die Deutschen ab 1933 empfinden, als die Arbeitslosen von den Straßen verschwanden, die Fabrikschlote qualmten, als die Saal- und Straßenschlachten vorbei waren, die die Agoniezeit der Republik begleitet hatten. Dass Tausende in flugs eingerichteten Konzentrationslagern verschwanden, wurde mit Schweigen übergangen. Und dieses Nicht-wissen-wollen war bestens eingeübt, als die Häftlingskolonnen durch die Straßen getrieben wurden, zu den Sammelpunkten für die Fahrt nach Auschwitz. Alle wussten etwas, viele vieles, manche alles. Das Schweigen verband sie.

Aber so war es eben nicht schon 1933, nicht am 30. Januar. Man kann die Mechanismen der Machtübertragung bloßlegen, kann Drahtzieher und Schuldige benennen. Hitler war kein Mephisto. Sein Aufstieg vollzog sich vor aller Augen. Und doch wurde bei den Reichstagswahlen, als es sie noch gab, nicht über Weltkrieg und Judenmord abgestimmt. Sondern über das nächste Parlament. Über die Hoffnung auf bessere Zeiten. Manche stimmten aus Berechnung, viele aus Verzweiflung. Dass daraus das Verbrechen des Jahrhunderts erwachsen konnte, nicht nur ungehindert, sondern mit vielfältiger Unterstützung, bleibt ein Rätsel. Der 30. Januar 1933 ist ein grell erleuchtetes Dunkel.

Zur Startseite