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Für junge Leute in Europa bedeutet die EU Reisefreiheit und Krise zur selben Zeit.

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Vor der Europawahl: Die Jungen müssen Europa retten

Nach einer 13.000 Kilometer Forschungsreise durch 14 europäische Länder in diesem Frühjahr stellen wir fest: Unserer Generation muss endlich Verantwortung übernehmen! Nur so wird die europäische Idee Erfolg haben. Ein Gastbeitrag.

Die Europawahl steht vor der Tür und mit ihr Fragen über die Zukunft der EU. Besonders unter jungen Menschen, so hört man wieder und wieder, ist die Wahl im besten Fall unpopulär, oft noch nicht einmal Gesprächsthema. Erschreckend viele wissen nicht einmal, dass eine Wahl stattfindet. Wenn gewählt wird, dann gerne extrem. Davor haben nicht nur die Politiker in Brüssel Angst, sondern auch viele Bürger. Konsequent wird berichtet und behauptet, Europa vernachlässige seine junge Bevölkerung und gebe sie dem Ruin und der Chancenlosigkeit preis. Das ist teilweise richtig. Bildungsetats, junger Arbeitnehmerschutz und außeruniversitäre Ausbildung lassen in vielen Ländern durchaus zu wünschen übrig. Doch es lohnt sich die Lage auch von einer anderen Perspektive zu betrachten. Vielleicht liegt die Misere mit den jungen Europäern eben nicht nur an gegenwartsverliebten Politikern und verantwortungslosen Wirtschaftseliten. Auch wir Jungen tragen eine Mitverantwortung, die wir bis heute aber nicht so recht wahrnehmen wollen.

Viele junge Leute haben keine Ahnung, wie sie die Zukunft ihres Landes gestalten können

Eine Forschungsreise brachte uns zu dieser Erkenntnis. Von Ende Februar an reisten wir sechs Wochen, gefördert durch die Stiftung Mercator und die Heinrich-Böll-Stiftung, durch 14 europäische Länder auf den Spuren unserer Generation. Unser Ziel: Die Lebensumständen und Perspektiven junger Europäerinnen und Europäer zwischen 18 und 36 Jahren kennen zu lernen. Was wir in den folgenden Wochen und nach hunderten von Gesprächen herausgefunden haben, stimmt uns nachdenklich.

Unser Fazit: Die Jugend Europas wird über Länder hinweg durch eine tiefsitzende Sorge um die Zukunft geeint. Ob in Schweden, Frankreich, Spanien, Italien, Griechenland, Bulgarien, Polen oder der Ukraine: Die Zukunft erscheint uns Jungen ungewiss, die Gegenwart zugleich unbeeinflussbar. Folglich macht sich in unserer Generation ein kollektives Gefühl der Rat- und auch Hilflosigkeit breit. Länderübergreifend. Aber dieses Fazit ist nur die halbe Wahrheit. Wir haben auch entdecken müssen, dass viele junge Europäerinnen und Europäer schlichtweg keinerlei Ahnung haben, wie sie selber einen positiven Einfluss auf ihr eigenes Leben, die Zukunft ihres Landes oder des Kontinents nehmen können. Hier mangelt es ihnen an Erfahrungswerten, aber auch an der Bereitschaft sich diese selbst anzueignen.

Quer durch die gesellschaftliche Bank herrscht wenig Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten, Potentiale und Netzwerke. Es folgt der Rückzug ins Private, weg von so dringend benötigter aktiver gesellschaftlicher oder politischer Gestaltung. Wer trägt dafür Schuld? Die Politik, die Krise, der Kapitalismus? Sicherlich ein Cocktail aus all dem, aber auch der bitteren Erkenntnis, dass unsere Generation grundsätzlich gerne vor langfristiger Verantwortungen fernbleibt. Ob im privaten oder auch politischen. Verantwortung zu übernehmen und sie länger als einen Facebook-Like zu tragen, fällt uns Jungen erschreckend schwer. Die Schuld dafür geben wir gerne den anderen. Aber mit dieser Einstellung geht nicht nur unseren Gesellschaften eine wichtige Ressource verloren, sondern es beeinträchtigt in negativer Weise auch die Entwicklung der europäischen Idee.

Für junge Menschen ist die EU ein Randthema

Eine Idee, welche aktuell nicht hoch im Kurs steht. Für junge Menschen ist die EU ein Randthema auf der Lebensagenda. Das können wir auch auf Basis unserer Gespräche bestätigen. Die Europawahl wird als überwiegend irrelevant wahrgenommen, nationale Themen und Interessen dominieren den Diskurs. Doch gleichzeitig lebt die junge Generation Europas bereits ein Leben, das als wahrhaft europäisch bezeichnet werden kann. Es wird gereist, im Ausland gearbeitet und studiert, Freundschaften über Ländergrenzen hinweg gepflegt. Doch junge Menschen bringen diese Privilegien nur selten in Verbindung mit den europäischen Institutionen. Eine paradoxe und zu gleich kritische Situation! Vorzüge und Geld aus Brüssel, gerne ja, Dankbarkeit und Engagement, bitte nein! Die all zu selbstverständlich wahrgenommen Privilegien stehen in Gefahr Opfer ihres eigenen Erfolgs zu werden. Da kommt die Frage auf, sind wir Jungen bereit uns für die europäische Idee und ihre Vorzüge wirklich einzusetzen?

Es gibt sie doch, die jungen Menschen, die politisch aktiv sind

Für junge Leute in Europa bedeutet die EU Reisefreiheit und Krise zur selben Zeit.
Für junge Leute in Europa bedeutet die EU Reisefreiheit und Krise zur selben Zeit.

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Ja, mag man meinen, es gibt sie doch, die jungen Menschen, welche politisch aktiv werden und ihr Ziele und Wünsche laut äußern. In Frankreich beispielsweise wird nach wie vor gerne protestiert und demonstriert. Auch in Griechenland und Spanien. Doch eines kann zweifelsohne länderübergreifend festgestellt werden, den wütenden Jungen fehlen der lange Atem und der Einsatz für die Implementierung der Forderungen in Politik und Gesellschaft. Das zeigt sich besonders im Fall der spanischen Jugendproteste. Als die Demonstrationen im Frühjahr 2011 starteten, sprach vieles für die jungen Aktivistinnen und Aktivsten. Die junge Generation hat die Schnauze voll von Bevormundung, Korruption, Geldverschwendung der Eliten und der eigenen miserablen Lage.

In Anlehnung an Stephan Hessel’s “Empört Euch” nannte sich die Bewegung sogar “Die Empörten”. Endlich, so schien es, wurden junge Europäer zu politischen Akteuren. Tatsächlich hat sich die Bewegung von Anfang an aber schwer getan über das Stadium des Straßenkrawalls empor zu steigen und eine politische Macht im Land zu werden - ein Potential, das durchaus gegeben war. Es herrschte Uneinigkeit über Zielsetzung und Partizipation. Sobald es ans Eingemachte ging - nämlich die Pläne und Ideen in die Realität umzusetzen -, knickten die Empörten ein. Es dauerte zwei Jahre bis sich aus der Protestbewegung eine kleine, noch wenig wahrnehmbare Partei gründete, die “Partido X”. Ihre Zukunft ist ungewiss, erstaunlich in Anbetracht der Tatsache, dass Spaniens Jugend noch immer massiv unter der Krise leidet. Es zeigt sich, den Jungen fehlt es an konsequentem Management und der Bereitschaft Veränderung nicht nur zu fordern, sondern zu leben. Das ist ein wirkliches Problem!

Erfreulicherweise konnten wir auf der Reise aber auch mit jungen Menschen sprechen, die sich genau über diese weit verbreitete Sprach- und Aktionslosigkeit erheben und uns allen Mut machen. In jedem Land trafen wir auch auf engagierte Frauen und Männer, die bereit sind sich einzusetzen und selbst schlimmsten politischen und wirtschaftlichen Umständen etwas entgegen zu setzen. Eine jungen Griechin startete Thessaloniki ihre eigene NGO, ein Serbe in seiner Heimat ein eigenes Technologieunternehmen, ein Spanier erklärt in Barcelona seinen Studienfreunde Europa.

Der Empörung folgen konkrete Taten

Hier folgen der Empörung konkrete Taten. Diese jungen Europäer haben Zukunft und versprechen uns Zukunft. In zwei Ländern begegneten wir sogar einer ganzen Generation junger Mutmacher. In der Türkei und der Ukraine, zwei nicht-EU Staaten. Junge Menschen opfern ihre Karriere, ihr Ansehen und sogar ihr Leben für Forderungen, die uns Mittel- und Westeuropäer erstaunlich banal erscheinen: Pressefreiheit, Reisefreiheit, Demokratie, Transparenz, Gleichstellung der Geschlechter. Diese Werte stehen für sie als Ziel am Ende eines langen, oft gewaltsamen Weges. Diesen steinigen Weg sind wir, die meisten jungen EU-Bürger, nie gegangen. Dafür können wir per se nichts, aber wir können etwas dafür, den Geschehnissen und Herausforderungen der Gegenwart tatenlos gegenüber zu stehen.

Was können wir aus all dem lernen? Zweierlei, denken wir. Zum einen ist klar, dass Politik und Wirtschafteliten unsere Generation vernachlässigt haben. Klar ist aber auch, dass wir uns nicht ewig auf andere verlassen können, das Ruder wieder herumzureißen. Jetzt liegt es an uns! Wir müssen die Zügel selbst in die Hand zu nehmen, uns unserer Potentiale bewusst werden und wirklich aktiv werden. Nur so können wir Teil der Zukunft werden, die wir uns wünschen.

 Vincent-Immanuel Herr (25) studierte Geschichte und Soziologie in den USA und aktuell Nordamerikanische Geschichte und Politik an der FU Berlin. Martin Speer (27) studierte Kommunikationswissenschaften in den USA und aktuell Economics an der HWR-Berlin.

Vincent-Immanuel Herr, Martin Speer

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