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Meinung: Vorübergehend geschlossen

Der Senat sperrt das Brandenburger Tor – aber nur ein bisschen

Von Lorenz Maroldt

Für den früheren Inhaber und nsgeber des ersten Hotels am Platz kommt die Sperrung des Brandenburger Tors zu spät. 1918 war Lorenz Adlon hier zum ersten Mal überfahren worden; diesen Unfall hatte er noch überlebt. Aber drei Jahre später erwischte es ihn wieder, an der gleichen Stelle – diesmal tödlich.

Eine Episode inmitten der zahllosen Geschichten dieses Bauwerks, das, als Stadttor errichtet, heute im Weg steht. Ein Berliner Verkehrsproblem, aber eines mit nationaler Bedeutung. Einst war die mittlere Durchfahrt der Königsfamilie vorbehalten, später marschierten die Nazis hindurch. Es war in den Jahren der Teilung verrammelt und wurde im Zeichen der Einheit geöffnet, für Politiker erst, dann für Fußgänger, später für Radler und Busse, schließlich für alle.

Kehrt jetzt, mehr als achtzig Jahre nach dem Fußgängertod von Lorenz Adlon, endlich Ruhe ein rund um das Tor? Vieles spricht dagegen. Der neue Beschluss des Senats, die Durchfahrt mal wieder für Autos zu sperren, nicht aber für Busse und Taxis, reicht wohl selbst nur zur Episode.

Dabei gibt es einige gute Gründe für die Sperrung des Tores: Es ist nicht gebaut für ständigen, schweren Durchgangsverkehr. Der Pariser Platz, neu gepflastert, schön eingerahmt, eigentlich End- und Wendepunkt der Linden, wird vom steten Strom der Autos zerschnitten. Der Ost-West-Verkehr fließt ohne nennenswerte Verstopfung über die Nebenstraßen ab. Die Bundestagsabgeordneten, aus Gründen der eigenen Ruhe einst vehement für ein offenes Tor, haben sich abgefunden; vergessen sind kuriose Vorschläge wie jener einer früheren liberalen Bauministerin, die den Pariser Platz untertunneln und die Linden zur Rennbahn umfunktionieren wollte. Mehr als die Hälfte der Berliner und eine große Mehrheit im Abgeordnetenhaus hält eine Sperrung für richtig.

Als Symbol der Maueröffnung wird das Tor nicht mehr gebraucht; niemand kommt ernsthaft noch auf die Idee, ein Durchfahrverbot für Autos mit der Teilung der Stadt gleichzusetzen. Das Tor ist nicht mehr, wie vor mehr als zweihundert Jahren, ein Eingang in die Stadt, sondern steht mittendrin, einem Nadelöhr gleich. Warum da durchquetschen, was sich leicht umleiten lässt, zum Wohle der Anwohner und der Spaziergänger, nicht zum Schaden der Autofahrer, im Sinne einer lebenswerten Stadt?

Wer ist nicht gerne mit dem Auto durch das Tor gerollt? Manchmal sogar absichtlich, selbst wenn eine andere Strecke noch kürzer war. Größere Unfälle hat es hier nicht gegeben. Und es ist längst nicht ausgemacht, dass der Pariser Platz ohne Autos so viel schöner wird. Es gibt auch Berliner, die den Platz ganz praktisch nutzen, nicht nur Touristen, die was fürs Auge wollen. Und alle guten Gründe für die Sperrung werden in Frage gestellt durch die Ausnahmeregelung für Busse und Taxis. Der Platz wird unruhig bleiben, das Tor gefährdet. Die hässlichen Poller am Fuß der Säulen, die vor den Bussen schützen sollen, werden bleiben müssen.

Es ist eine inkonsequente Entscheidung des Senats, gegen den Willen des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit, der eine Komplettsperrung wollte. Es ist ein fauler Kompromiss. Und wir werden gut damit leben können. Denn eins ist sicher: Die Geschichte endet hier nicht. Niemand weiß, was geschieht, wenn nebenan das Holocaust-Mahnmal gebaut wird und Straßen gesperrt werden müssen. Niemand weiß, wie der Platz wird, wenn erst die amerikanische Botschaft steht. Berlin wächst weiter, und mit der Stadt wächst der Verkehr. Kann sein, dass man irgendwann einmal froh ist, das Nadelöhr wieder öffnen zu können.

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