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Der Wahlkampf nimmt langsam an Fahrt auf, zum Glück.

© dpa

Wahl, Geld, Sex: Der Wahlkampf wird endlich spannend!

Was kaum für möglich gehalten wurde, wird jetzt Realität. Der Wahlkampf ist aufgewacht und die ganze Bundesrepublik befasst sich mit Politik und möglichen Koalitionen, man glaubt es kaum. Wir reden über das Wahlgeheimnis, doch eigentlich sollten wir über Geld und Sex sprechen.

Huch! Was ist denn jetzt los? Spinn ich oder kann es tatsächlich sein, dass seit dieser Woche die Bundestagswahl wieder spannend geworden ist? Dass sich die Menschen plötzlich über Politik unterhalten? Dass sie den Wahl-O-Mat machen, auch wenn viele dessen Funktion nicht ganz begreifen („Alle Antworten richtig!“)? Dass sie sich im Fernsehen tatsächlich anschauen, wenn Politiker aneinander vorbei diskutieren? Dass sie grübeln und nachdenken und abwägen, wo sie denn jetzt am besten am 22. September ihre Kreuze machen sollten?

Manch einer ist mit dem Grübeln und Nachdenken bereits fertig. Der Schriftsteller Martin Walser zum Beispiel. Sein Fazit lautet: "Wer recht haben muss, muss Herrn Steinbrück wählen. Wer leben will, kann Frau Merkel wählen." Walser, auch mit 86 offensichtlich noch süchtig nach Leben, wählt die CDU. Wahrscheinlich bin ich einfach nicht schlau genug, um diesen Zusammenhang komplett zu durchdringen.

Walser und 47 andere Künstler und Intellektuelle haben diese Woche eine Frage der „Zeit“ beantwortet: „Welche Partei wählen Sie?“ Die große Mehrheit verrät es nicht oder bekennt sich dazu, keine Partei zu wählen, begründet dies aber in gut formulierten Worten. Mit weitem Abstand folgen die SPD-Wähler knapp vor den Grünen, CDU und Die Linke liegen gleich auf. Niemand sagt, er würde die FDP wählen oder die Piraten. Ich glaube, die FDP wählt wirklich niemand. Allerdings habe ich auch schon folgende These gehört: Bei Umfragen würden sich FDP-Wähler schämen zuzugeben, dass sie die FDP wählen, deshalb schneidet die Partei bei Wahlen fast immer besser ab als in Umfragen. Bei den Piraten ist es noch komplizierter: Solche Umfragen werden in der Regel mit Leuten durchgeführt, die über ein Festnetztelefon verfügen – die potentiellen Wähler der Piraten aber würden in der Regel schon gar nicht mehr über ein Festnetztelefon verfügen und seien deshalb von Umfrageinstituten nicht erreichbar. Es bleibt also spannend bis zum Schluss.

Ich glaube übrigens, dass es in Deutschland drei Fragen gibt, die die Menschen nicht gerne beantworten: Wen wählst du? Was verdienst du? Wie viel Sex hast du? Alle drei Fragen sind zu intim, meistens kennt wahrscheinlich nicht einmal der jeweilige Partner die Antworten. Aber ist das gut oder schlecht? Wären wir vielleicht eine tolerantere, modernere Gesellschaft, wenn jeder über jeden wüsste, wen er wählt, was er verdient und wie viel Sex er hat?

Wohl eher nicht. Abgesehen davon, dass es bei der Geld- und bei der Sexfrage entweder (je nach Antwort) zu Neid- oder Hämeattacken kommen könnte, sollte sich das Wahlgeheimnis, das es ja nun mal gibt, auf verschiedene andere Bereiche des Lebens ausweiten. Ein Einkommensgeheimnis, ein Beischlafgeheimnis quasi. Wünschenswert wären außerdem noch ein Gewichtsgeheimnis, ein Abiturzeugnisgeheimnis, ein Lieblingsliedgeheimnis und ein Elternberufsgeheimnis. Überhaupt müsste man aus allem, was einen irgendwie in einem komischen Licht dastehen lassen könnte, ein Geheimnis machen. In Zeiten wie diesen brauchen wir schließlich nicht weniger Geheimnisse. Sondern mehr. Vielleicht bricht dann ja auch diese ganze Überwachungsgeschichte wegen Überlastung zusammen. Wer weiß?

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