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Tausende Afghanen wählten heute einen neuen Präsidenten.

© Reuters

Wahlen in Afghanistan: Bereit für den Abzug

Die hohe Wahlbeteiligung trotz der Terrorandrohung der Taliban zeigt: Die Afghanen wollen endlich die Verantwortung für ihr Land übernehmen.

Die Afghanen scheinen unberechenbar. Während westliche Schreibtischanalysten Untergangsszenarien für die Zukunft ihres Landes entwerfen, gehen sie massenhaft an die Urnen und wählen einen neuen Präsidenten. Der Andrang in vielen Wahllokalen war groß, obwohl es auch diesmal wieder viele Angriffe auf Wähler gab. Deutlich weniger allerdings als vor vier Jahren.

Wer in den vergangenen Monaten die Menschen in Afghanistan selbst nach ihren Zukunftserwartungen gefragt hat, überrascht dies nicht. Viele Afghanen sind gerade jetzt optimistisch, weil sie die Chance sehen, endlich selbst über ihr Land bestimmen zu können. Präsident Hamid Karsai, der vielen als Marionette der USA galt, tritt ab, erstmals in der Geschichte des Landes gab es einen engagierten Wahlkampf mehrerer aussichtsreicher Präsidentschaftskandidaten. Der Westen hielt sich raus und wird Ende des Jahres seine Truppen aus Afghanistan abziehen. Auch das sehen die meisten Afghanen positiv, denn fehlgeleitete Drohnenangriffe und brachiale Razzien haben den Ruf der Nato ruiniert, Abu Ghraib und Guantanamo das Vertrauen in westliche Werte insgesamt erschüttert. Eine Besserung der prekären Sicherheitslage erwartet von den ausländischen Kräften ohnehin niemand mehr. Selbst westliche Helfer – und sogar hochrangige deutsche Militärs – berichten, dass dort, wo die internationalen Truppen bereits abgezogen sind, Spannungen nachgelassen haben.

Natürlich gibt es keine Garantie, dass die afghanischen Sicherheitskräfte auf Dauer in der Lage sein werden, gegen die Taliban und andere Aufständische die Oberhand zu behalten. Die spektakulären Anschläge vor der Wahl haben eher die Schwäche der Gotteskrieger offenbart. Indem sie vor allem Ausländer angriffen, erreichten sie zwar eine maximale Medienaufmerksamkeit außerhalb Afghanistans. Die Einheimischen ließen sich dadurch aber kaum einschüchtern.

Die Afghanen haben in den vergangenen Jahren eben auch viele positive Entwicklungen gesehen. Während 70 Prozent der erwachsenen Afghanen Analphabeten sind, gehen inzwischen immerhin wieder mehr als die Hälfte der Kinder zur Schule. Die wenigen Universitäten des Landes platzen aus allen Nähten. In Masar-i-Scharif, wo die Bundeswehr für die Sicherheit verantwortlich war, sind 30 Prozent der Studierenden Frauen. Westliche Lebensmodelle schweben in Afghanistan freilich nur wenigen Frauen vor. Sie orientieren sich eher an Ländern wie dem Iran, wo zwar strenge islamische Sitten herrschen, die gesellschaftliche Stellung von Frauen im Vergleich zu Afghanistan aber deutlich besser ist.

Manche Frauen haben es in Afghanistan auch heute schon zu etwas gebracht. Zum Beispiel Wahida Rezai, die mit Ende 20 als Kriminalbeamtin arbeitet. Zum Interview mit deutschen Journalisten, zu dem sie aus einer anderen Stadt anreist, hat sie dennoch ihren Mann mitgebracht. Der Ingenieur hat sich extra frei genommen – weil es unschicklich wäre, die Ehefrau allein fahren zu lassen. Während seine Frau selbstbewusst die Fragen beantwortet, sitzt er still neben ihr und strahlt sie immer wieder voller Stolz an. Auch das stimmt hoffnungsvoll.

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