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Wahlen in Afghanistan: Nach dem Taliban-Regime ist vor dem Bürgerkrieg

In Afghanistan, einem der gefährlichsten Länder der Welt, wird ein Nachfolger für Präsident Hamid Karsai gewählt. Ein historischer Moment, der jedoch nur wenig Anlass zur Hoffnung bietet. Denn während sich die internationalen Truppen zurückziehen, drängen die Taliban zurück an die Macht.

Von Michael Schmidt

Ach, Afghanistan. Du geschundenes, graues, wüstensandstaubtrockenes Land. Zerrissener Vielvölkerstaat. Grab der Großmächte. Und Schlachtfeld, immer wieder und immer noch und so lange schon, länger als viele deiner meist jungen Bewohner denken können. Was soll bloß aus dir werden?

Es ist nicht so, dass nichts gut wäre in Afghanistan. Aber vieles ist verdammt schlecht gelaufen. Und die Aussichten sind düster. Wer dieser Tage anderes behauptet, will uns etwas vormachen. Ja, das Land am Hindukusch wählt an diesem Samstag einen neuen Präsidenten.

Und ja, man darf diesen Tag sehr wohl historisch nennen: Es wird zum ersten Mal in der Geschichte des Landes einen friedlichen, demokratisch geordneten Machtwechsel geben. Aber was heißt schon friedlich?

Die Angst geht um. Gewalt bestimmt den Alltag. Die Sicherheitslage ist extrem angespannt. Am Freitag wurde die deutsche Fotoreporterin Anja Niedringhaus im Osten des Landes von einem Polizisten erschossen. Das Beste, was man sagen kann, ist, dass die Präsidentschaftskandidaten den Wahlkampf – man muss fast sagen: wider Erwarten – überlebt haben.

Militäreinsätze, die Hoffnungen platzen ließen

13 Jahre Krieg in der Folge von 9/11, geführt zunächst unter dem Operationsnamen „Infinite Justice“ (unendliche Gerechtigkeit) dann „Enduring Freedom“ (andauernde Freiheit), haben dem Land und seinen Bewohnern weder das eine noch das andere gebracht, sondern Enttäuschung auf allen Seiten, gebrochene Versprechen, geplatzte Hoffnungen.

War der Einsatz am Hindukusch nur ein kurzes Intermezzo?

Afghanistan bleibt eines der gefährlichsten Länder der Welt. Die radikalislamischen Taliban sind nicht besiegt. Im Gegenteil. Sie kommen mit Macht zurück. Und sie kommen an die Macht zurück. Nicht wenige fürchten, dass die Zeit der internationalen Präsenz am Hindukusch nur ein Intermezzo war: Nach dem Taliban-Regime ist vor dem Bürgerkrieg. Eine wie auch immer geartete Beteiligung der Extremisten an der künftigen Regierung wird kaum zu verhindern sein. Der Drogenanbau boomt, das Land ist wieder der Welt größter Opium-Produzent. Armut und Korruption grassieren. War das all den Einsatz wert?

Tausende Tote im Kampf gegen die Taliban

Seit Ende 2001 wurden mehr als 2750 ausländische Soldaten bei Anschlägen und Angriffen getötet, 13 700 einheimische Sicherheitskräfte, und allein zwischen 2007 und 2012 kamen 14 728 Zivilisten ums Leben. Wofür?

Wie vielleicht kein anderer steht Hamid Karsai, der das Land seit 2001 regiert und nun laut Verfassung nicht noch einmal antreten darf, für das, was die vergangenen Jahre für das Land bedeuten: eine verlorene Dekade. Karsai, von Gucci-Designer Tom Ford einmal als der bestgekleidete Mann der Welt gefeiert, startete als Hoffnungsträger, Friedensbringer, charismatisch, smart, verbindlich im Auftreten. Er endet, zumindest in den Augen des Westens, als Opportunist, Wahlfälscher und der Korruption Verdächtiger.

Karsai - Ex-Hoffnungsträger mit Stil

Seinerzeit nannte ihn US-Präsident George W. Bush einen Freund – heute weigert sich der 56-jährige Paschtune, ein Abkommen mit Barack Obama zu unterzeichnen und wirft ihm stattdessen vor, der Einsatz der Internationalen Schutztruppe Isaf habe Afghanistan „viel Leid gebracht, den Verlust zahlreicher Leben und keine Vorteile – denn das Land ist nicht sicher“.

War also alles vergebens? Gibt es vor dem Abzug der Nato-Kampftruppen am Jahresende gar keine positiven Nachrichten? An manchen Tagen schon. Heute nicht.

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