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Morgen, Kinder, wird's was geben. Elf Monate vor der Wahl werden die Wahlgeschenke verteilt.

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Wahlkampf: Jetzt gibt's Geschenke!

Die Rentenbeiträge sinken, die Praxisgebühr wird abgeschafft. Elf Monate vor der Wahl beginnt die Koalition, die Bürger zu entlasten. Das zeugt vor allem von einem: Die Regierung unterschätzt ihre Wähler.

Von Anna Sauerbrey

Bis Weihnachten sind es nur noch zwei Monate. Höchste Zeit also, zu überlegen, welche Geschenke geeignet sind, sich die Gunst der lieben Verwandtschaft zu sichern. Bis zum nächsten politischen Fest, der Bundestagswahl, sind es nur noch elf Monate, und deshalb beginnen die Wichtel im politischen Berlin nun ebenfalls hektisch, die Wunschlisten abzuarbeiten – damit das Lametta am Baum Ende 2013 möglichst wieder die gleichen Farben hat wie dieses Jahr, Schwarz und Gelb.

Das Päckchen für den Unternehmer- Onkel wurde am Donnerstag vom Bundestag verschickt. Der Beitragssatz zur gesetzlichen Rentenversicherung wird ab Januar 2013 von 19,6 auf 18,9 Prozent sinken. Dieses Geschenk ist 6,4 Milliarden Euro wert und praktischerweise profitiert davon nicht nur der Onkel, sondern es profitieren auch die lieben Nichten und Neffen, die in seinem Unternehmen angestellt sind.

Die kränkliche Oma bekommt voraussichtlich 40 Euro im Jahr an Praxisgebühr zugesteckt, Mami und Papi das Betreuungsgeld und dem Großcousin, der in München studiert, werden wohl die Studiengebühren erlassen. Schleife drum, fertig. Alle glücklich? Union und FDP folgen mit ihrer vorweihnachtlichen Geschäftigkeit einem alten Prinzip, den politischen Konjunkturzyklen. Das Modell sagt wellenartige Schwankungen der Ausgabenpolitik demokratischer Staaten vorher, die erheblich von nahenden Wahlterminen beeinflusst werden.

Es wurde von der politischen Ökonomie schon in den 70er Jahren entwickelt. Vor dem Urnengang, so lautet die Annahme, sinken die Steuern, die Sozialausgaben steigen. Das führe dazu, dass in Wahljahren mehr ausgegeben wird, erhöhe aber die Chancen einer Regierung auf Wiederwahl.

Die gesellschaftlichen Kosten und eine etwaige Verschuldung werden viel langsamer spürbar, als die vor der Wahl verteilten Geschenke. So streichen Regierungen Profite ein und wälzen die Kosten auf Folgeregierungen ab. Manche sehen in diesem „Systemfehler“ sogar ganz allgemein eine Ursache für die hohe Verschuldungsneigung von Demokratien.

Besonders ungünstig ist das, wenn sie, wie im Moment, dem gesunden Menschenverstand zuwiderlaufen, der von den übrigen wirtschaftlichen Bedingungen diktiert wird. Viele Indikatoren deuten derzeit darauf hin, dass sich die Konjunktur 2013 weltweit abkühlen wird. Die Devise müsste lauten: Spare in der Zeit, dann ... Sie wissen schon, jeder weiß das. Da wäre es sinnvoller, der Rentenkasse ein kleines Polster zu verschaffen und auf teure und zudem gesellschaftlich höchst umstrittene Projekte wie das Betreuungsgeld zu verzichten.

Zudem geht das Modell in der politischen Wirklichkeit selten ganz auf. Zwar wurden Belege für die These steigender Ausgaben vor Wahlen gefunden – vor allem in Lateinamerika. Für die Annahme, dass der Großherzigkeitsrausch tatsächlich zur Wiederwahl führt, sind die Belege aber eher schlecht.

Auch in Deutschland ist längst nicht ausgemacht, dass das Kalkül aufgeht. Nach vier vollen Jahren Banken- und Staatsschuldenkrise, nach vier Jahren, in denen dieselben Politiker, die heute Präsente verteilen, das Mantra der Austerität sangen, ist wahrscheinlich auch der letzten Mutter, dem letzten Arbeitnehmer und dem letzten Patienten klar, dass Väterchen Staat die Moneten zusammenhalten muss. Das Modell der politischen Konjunkturzyklen basiert auf der Grundannahme, dass die Wähler kurzsichtig sind. Diese Annahme ist nicht mehr zu halten.

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