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Wahlrechtsreform: Ein Kreuz reicht

Union und FDP wollen Überhangmandate nicht ausgleichen. Die Koalition sollte sich das noch einmal überlegen.

Möglicherweise wäre es besser gewesen, das Verfassungsgericht hätte nicht verlangt, das Wahlrecht zu ändern. Immerhin betrifft das negative Stimmgewicht, das der Gesetzgeber nun irgendwie in den Griff bekommen soll, nur wenige Mandate, wie die Karlsruher Richter selbst feststellten. Andererseits ist dieses Phänomen ein Systemfehler, der sich möglicherweise verzerrend auswirkt. In der Entscheidung zwischen Purismus und Pragmatismus neigte das Gericht der reinen Lehre zu. Dass der „Wahlrechtsfrieden“ gar nicht gestört war, spielte keine Rolle. Absehbar ist schon jetzt, dass die künftige Lösung auch ihre Probleme haben wird, vielleicht größere als im alten Wahlrecht. Und dass es noch ein Verfahren vor dem Verfassungsgericht geben könnte, das dann am Ende gezwungen wäre, dem Bundestag das Wahlrecht mehr oder weniger vorzuschreiben. Eine unglückliche Situation.

Der schwarz-gelbe Vorschlag knüpft nun an einen Lösungshinweis aus Karlsruhe an. Perfekt ist er nicht, zumal das Fortwirken des negativen Stimmgewichts nicht ausgeschlossen ist. Aber will man nicht das reine Mehrheitswahlrecht, bei dem ein Großteil der Stimmen unter den Tisch fallen kann, und auch nicht die parteienlastige reine Verhältniswahl, sondern das um möglichst große Gerechtigkeit bemühte Mischsystem (und das ist Konsens im Bundestag), wird man mit den Defiziten eines „unreinen“ Wahlrechts leben müssen.

Union und FDP wollen Überhangmandate nicht ausgleichen. Die Koalition sollte sich das noch einmal überlegen. Denn sauberer wäre es. Auch wenn sowohl der SPD-Vorschlag, zusätzliche Ausgleichsmandate zu schaffen, als auch der Plan von Grünen und Linken, Überhangmandate durch Streichung von Listenmandaten auszugleichen, erhebliche Nachteile haben. Insofern ist es erstaunlich und enttäuschend, dass eine Ursache für Überhangmandate und negatives Stimmgewicht gar nicht erst offen debattiert wurde: das Zweistimmensystem samt Stimmensplitting. Es ist unehrlich, weil es taktisches Wählen möglich macht. Eine Stimme, die im Wahlkreis und für die Liste gleichermaßen zählt, würde genügen. Zumal im Fünfparteiensystem das „Koalitionswählen“ per Splitting ohnehin nicht mehr so berechenbar ist. Also weg mit den zwei Stimmen, ein Kreuzchen reicht – es wäre ein eleganter Reformschritt mit vermutlich großer Wirkung.

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