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Meinung: Wahn und Sinn

Die Medien als Kartell – die hat es nicht gegeben. Oder immer schon

Was Spitzenpolitiker einstecken und leisten müssen, ist schon hart, zuweilen auch unmenschlich. Dass ihnen dann das passiert, was viele gerne den Medien vorwerfen, nämlich den Bezug zur Wirklichkeit verlieren und lieber unerschütterlich prophetieren statt analysieren, lässt sich gerade wieder beobachten. Manchmal stellen sie die Dinge auch auf den Kopf.

Gerhard Schröder zum Beispiel behauptet, die SPD habe die Wahl gegen ein Medienkartell gewonnen. So sehen das mittlerweile viele Genossen, die in den vergangenen Monaten an ihrer Partei und dem Kanzler schier verzweifelten. Die Behauptung ist falsch. Nicht Schröder hat die Wahl gegen die Medien gewonnen, sondern Merkel hat sie wegen der Medien verloren.

Zunächst zu Schröder. Dessen Behauptung, gewonnen zu haben, bezieht sich aus nachvollziehbaren Gründen weder auf das absolute Ergebnis noch auf das relative im Vergleich zur Wahl 2002. Nein, Schröder vergleicht sein Ergebnis ausgerechnet mit den zwischenzeitlich sehr niedrigen Werten der Meinungsforscher für die SPD, die er aber zugleich grundsätzlich in Frage stellt und deren Verbreitung durch die Medien er als unlauter angreift. Den offenkundigen Widerspruch versuchen die Sozialdemokraten mit Lautstärke einzuebnen.

Tatsache ist, dass sich die Partei des Kanzlers und seine Regierung rund um den 22. Mai, den Tag der Niederlage in Nordrhein-Westfalen, in einem verheerenden Zustand befand. Zerrissen wegen der Reformpolitik, was Schröder schließlich zur Vertrauensabstimmung trieb, angeschlagen nach einer Reihe brutaler Wahlniederlagen, dann noch verhöhnt vom Protestwellensurfer Lafontaine, war kaum ein Genosse zu finden, der an den Sieg glaubte. So war es auch zu lesen. Otto Schily wirft heute „den“ Medien Wahlkampfhilfe für Schwarz-Gelb vor. Aber der beste Wahlkampfhelfer der Union war lange die SPD. Die Medien als Kartell hat es nicht gegeben, oder es hat sie schon immer gegeben.

Wer sich, wie Schröder bei seiner Sieginterpretation, die Umfragen vornimmt, stellt fest, dass die SPD bereits einige Zeit vor der Wahl auf klar über 30 Prozent taxiert wurde, so dass sich Schröder gar ermutigt fühlte, als neues Ziel die Zahl 38 auszugeben. Das hat er weit verfehlt.

Dramatische Veränderungen dagegen gab es bei der Union, wozu vor allem, ausgerechnet, die von Schröder attackierten Demoskopen und Medien beigetragen haben. Die Medien haben berichtet über Merkels Brutto-netto-Verwirrung, über Schönbohm, Stoiber und den Osten, und sie haben kommentiert, nicht gut für die Union. Die Medien haben „Angie“ übersetzt, den Stones-Song, den die Union wegen mangelnder Englischkenntnisse als wahlkampftauglich erachtete und so sich und ihre Kandidatin dem Spott preisgab. Die Medien haben das Durcheinander beschrieben, das der Radikalsteuerreformer Kirchhof in den Reihen der Union anrichtete, und sie haben über dessen demoskopisch unterlegte Verwandlung vom Lockvogel zur Wählerscheuche berichtet.

Schröders Behauptung, „die“ Medien hätten ihn schlecht behandelt und Angela Merkel hochgeschrieben, lässt sich auch empirisch widerlegen. Aus einer Studie, für die seit dem Juli mehr als 7000 Beiträge aus fast zwanzig Zeitungen und Zeitschriften ausgewertet wurden, geht hervor: Merkel und Schröder wurden überwiegend neutral dargestellt. Merkel sogar noch etwas kritischer.

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