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Meinung: Wahr nur im Fernsehen

Von Tissy Bruns

Was geschah wirklich in Mannheim? Unbußfertig steht ein Angeklagter vor dem dortigen Schnellgericht. Er bekennt sich schuldig. Nur ins Gefängnis will er nicht. Denn Jens Ammoser braucht Zeit für sein „Projekt SPD“, falls der Bundeskanzler „den Ball“ aufnimmt. Der Ball allerdings war eine Ohrfeige. Ammoser, ein „arbeitsloser Lehrer“, wie es heißt, hat sie Gerhard Schröder verabreicht. Der KanzlerOhrfeiger hat 1983 seine Referendarzeit beendet, da regierte übrigens Helmut Kohl als Kanzler. Lehrerplanstellen gab es damals für Tausende nicht. Arbeitslos ist Ammoser seit 1995 (da regierte immer noch Kohl); seitdem beschäftigt er sich mit Politik. Wenn einer arbeitsloser Lehrer ist, dann klingt das gleich, als sei er echt betroffen, wie man früher so schön gesagt hat. Noch vergangener hört sich der Ort an, in dem der „Robin Hood“ des deutschen Sozialstaats heute lebt: Aus Geiersnest zog er aus, um den „miesesten, erfolglosesten Kanzler“ bei einem Empfang für neue SPD-Mitglieder zu stellen. Die Ohrfeige war optimal: Laut, und sie hat Schröder nicht verletzt. Der danach „natürlich geschauspielert“ hat; dabei hätte Ammoser ihn so gern erschüttert gesehen. Und was macht der Kanzler mit dem Ball? Er erstattet Strafanzeige. Dabei hat Ammoser ausdrücklich gebeten: „Bitte, lassen Sie ihn nicht achtlos fallen.“ Das, und noch viel mehr, wissen wir, weil Ammoser diese und etliche andere Botschaften über seine Heldentat in Zeitungen und Fernsehsendungen mit jenem Fundi-Glitzern im Gesicht verbreitet hat, das nur Menschen zu Gebote steht, die für gewöhnlich als einigermaßen verrückt eingestuft werden.

Was geschah wirklich in Mannheim? Wo der gesunde Menschenverstand mit so viel überflüssigem Unfug traktiert wird, sind alle Thesen erlaubt. Ein 52-jähriger Arbeitsloser hat den Bundeskanzler geohrfeigt, läuft frei herum und erzählt das Geschehene unaufhörlich in Kameras und Mikrophone? Ein Rächer der Enterbten aus Geiersnest? Warum sollten wir das eigentlich glauben? Wer so fragt, entdeckt sofort die entscheidende Schwachstelle der ganzen Geschichte: Laut soll die Ohrfeige gewesen sein? Wo war das Mikrophon, das den schallenden Knall festgehalten hat, zwecks hundertfacher Wiederholung. Und wo die Kamera für den schauspielernden Kanzler, zwecks tausendfacher Zeitlupe? Ist doch alles gar nicht wahr. Es war ja nicht im Fernsehen.

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