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Meinung: Wahrheit in Prozent

Nur noch ein paar Tage – wird der Wahlkampf in NRW wirklich wieder spannend?

Kann es wahr sein? Kann es so sein, wie es noch nie in Deutschland war? Dann würde Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen tatsächlich noch gewinnen können. Kaum zu glauben.

Die Wahl ist nah, und die Umfragewerte für Schwarz-Gelb, für die Herren Rüttgers und Wolf als Spitzenkandidaten purzeln. Vielleicht sogar halbiert ist der Vorsprung, und das innerhalb von ein paar Tagen. Wenn das so ist, dann ist auch möglich, dass innerhalb der nächsten Woche der Vorsprung ganz dahin ist. Und dann träte das ein, was die unerschrockene Bärbel Höhn, Grünen-Spitzenfrau, die ganze Zeit behauptet. Kaum zu glauben. Wo sich Rote und Grüne gerade streiten wie die Kesselflicker.

Kämpfen bis zuletzt lautet die Parole, bei allen. Jürgen Rüttgers, der Christdemokrat, predigt das seiner CDU schon die ganze Zeit. Er will den Sieg jetzt, im zweiten Anlauf, packen; aber er will ihn wirklich erst in der Hand haben, ehe er über anderes redet. Ingo Wolf, der Freidemokrat, fröhlicher Rheinländer, redet viel unbeschwerter, was insofern erstaunlich ist, als seine Partei immer noch mit dem Möllemann-Faktor zu kämpfen hat. Das geht so: Macht Wolf einen flotten Spruch wie „Lieber in helle Köpfe investieren statt in dunkle Schächte“, heißt es gleich, da sie ist wieder, die unseriöse Spaßnummer. Findet er keine eingängige Sprache, bleibt der ehemalige Oberkreisdirektor und Westerwelle-Repetitor bei den Zahlen, heißt es, er sei ein sprechender Aktendeckel. Kurzum, die FDP weiß, dass sie eine Menge an taktischer Klugheit investieren muss, damit sie mehr als fünf, mehr als sieben Prozent wählen. Und die CDU weiß, dass der Glaube Berge versetzt, aber nicht Siege ersetzt. Vor allen Rüttgers (der klug ist) hat das gelernt.

Mobilisierung, Personalisierung, Thematisierung – das ist der Dreiklang von Peer Steinbrücks Wahlkampf für die SPD, und die letzte Kurve zeigt, dass er sie ganz, ganz vielleicht noch kriegt. Mit zwei blauen Augen. Das muss besonders auch der Kanzler hoffen, weil sonst dessen Chance zur politischen Gestaltung in der Länderkammer an der schleswig-holsteinischen Bundesratsklausel hängt.

Wer nicht mobilisiert, verliert. Richtig ist, dass 25 bis 35 Prozent der Wähler noch unentschieden sind. Richtig ist auch, dass manche bis zum letzten Tag, bis zur letzten Stunde zögern, sich sogar erst in der Wahlkabine entscheiden. Da geht noch was, ohne Frage. Fraglich dagegen ist, dass nur für die SPD noch was geht, obwohl die beharrlich behauptet, die CDU habe ihr Potenzial zwischen Rhein und Weser schon weitgehend ausgeschöpft. Und wenn es bei der 90 Prozent wären – blieben zehn. Aber verständlich ist es, dass die Sozialdemokraten so reden. Wahlkampf ist (wie die Wirtschaft) mindestens zur Hälfte Psychologie. Also reden bis zum Aufschwung.

Wer’s glaubt. Stabil war bisher – unabhängig von Fieberkurven, je näher die Wahl rückt – die Wechselstimmung. Vor allem Rot hatte nach Ansicht einer Mehrheit der 18 Millionen im Land doch abgewirtschaftet. Noch so ein Leitsatz für den Wahlkampf: Gewählt werden sie nicht für die Bilanzen, sondern für die Zukunft. An beidem gemessen wurde Rot-Grün bis vergangene Woche nicht mehr gewählt.

Bis der Schrecken der Heuschrecken kam, Franz Müntefering. Und da wird es wieder unwägbar. Kapitalismuskritik ist populär, nur sich öffentlich zu ihr zu bekennen, fällt vielen schwer; vor allem, wenn sie abhängig Beschäftigte sind. Wenn das der Chef hört. Zustimmen kann man Müntefering ja auch im Stillen: an der Wahlurne.

Noch ein paar Tage. Auch zum Streiten. Noch ein Fernsehduell. Der Wahlkampf ist seit gestern wieder spannend. Kaum zu glauben. Aber wahr.

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