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Meinung: Waldmenschen und Seeleute

Roger Boyes, The Times

Gut abgehangene Klischees sind, wie reifer Wein, am besten. Das ist mein liebstes: Deutsche sind Waldmenschen, Engländer Seeleute. Je mehr man auf solch einem Klischee herumkaut, desto mehr scheint es zu einem erstaunlichen Stück Weisheit zu werden. Schauen Sie nur auf das Bild, auf dem Schröder Chirac im Kanzleramt umarmt. Waren das nicht zwei wettergegerbte Bäume, die einander stützten (es wächst zusammen, was zusammengehört)? Blair hingegen segelte hinein nach Berlin und wieder heraus voller SeefahrerOptimismus.

Bei der Geburtstagsparty der Queen auf dem Rasen des britischen Botschafters standen die Deutschen wie Jäger und Sammler um die Erdbeeren herum, während die Engländer sich wie Piraten auf die Suche nach dem letzten Glas Pimm’s begaben.

Nun, auch die Deutschen haben ein Meer. Aber die deutsche Küste wird oft zu einer Erweiterung des Stadtlebens. Ich erinnere mich, dass ich als junger Mann nach Sylt reiste und mir vorher lange, wilde Spaziergänge an der Küste vorstellte. Stattdessen ist meine bleibendste Erinnerung die, in einer Vogelkoje in Kampen zu sitzen und jungen, reichen Männern dabei zuzuschauen, wie sie ein existenzialistisches Frühstück einnehmen – Kaffee, Kippe, taz. Später am Tag öffneten sie dann die Verdecke ihrer Cabrios, um auf dem Weg in einen Club ein wenig Seeluft zu tanken.

Zu dieser Jahreszeit sehnt sich der altmodische Engländer nach dem Schrei der Möwen. Wälder machen andächtig, das Meer macht nachdenklich. Für die, die eine kurze Kur brauchen: Nehmen sie die S-Bahn nach Wannsee, die Fähre nach Kladow und machen sie einen kurzen Spaziergang vorbei am alten Gutshaus und den ehemaligen Baracken der Legion Condor zum Deutsch-Britischen Yacht Club. Möwen sind selten, aber die Mauersegler fliegen rein und raus aus dem hölzernen Bootsschuppen und der englische Puls fängt an, schneller zu schlagen. Hermann Göring hat das Bootshaus gebaut, um die kurze Strecke auf der Havel von Schwanenwerder zur Luftwaffenakademie fahren zu können. Er war so fett, dass sein Motorboot tief im Wasser lag und seine Uniform Spritzer abbekam. Ein größeres Boot wurde benötigt – und ein Anlegeplatz.

Während der Luftbrücke landeten hier britische Wasserflugzeuge, die mit Kohlen für West-Berlin beladen waren. Die Briten haben eine Pipeline von Gatow heruntergelegt, um die Flugzeuge wieder zu betanken. Eines Tages kam ein britischer Offizier darauf, dass es ein guter Ort für einen Yachtclub wäre – und rettete Görings Bootshaus.

Es ist nichts Elitäres an diesem Club – keine lauten britischen Commodores, die pinkfarbenen Gin trinken – und es ist ein Modell britisch-deutscher Zusammenarbeit. Hier gibt es die besten „Fish and Chips“ in Berlin. Und doch muss diese perfekte Symbiose von Waldmenschen und Seeleuten ums Überleben kämpfen. Englische Mitglieder sind zu einer kleinen Minderheit geworden, weil irgendjemand in der Stadtverwaltung beschlossen hat, dass die Engländer nur segeln dürfen, wenn sie einen deutschen Segelschein haben. Die Papiere, die vom Royal Yacht Club ausgegeben werden, sind nicht gut genug. Es ist möglich, mit einem britischen Führerschein überall in der EU ein Auto zu fahren. Ähnliches gilt aber nicht für eine Yacht auf der Havel. Als Ergebnis ist nun eine große Berliner Institution bedroht. Zufällig arbeitet der zukünftige Washington-Korrespondent des Tagesspiegels gerade hart daran, seinen Segelschein zu machen, bevor er (auf einem sehr großen Boot) nach Amerika segelt. Er weiß, was für eine Qual der Schein ist, hunderte von Antworten müssen auswendig gelernt werden. Kein Wunder, dass die Engländer von den Berliner Gewässern verdrängt und vom Meer in den Wald getrieben werden.

In dieser Woche haben hunderte von Freunden sich von Christoph verabschiedet in einer wunderschönen Villa am Wannsee. Tatsächlich werden er und andere ehrenvolle deutsche Seeleute aber in Berlin noch gebraucht: Um gegen eine Bürokratie, die das Leben aus der Stadt herausquetscht, zu argumentieren und gegen eine Politik, die anfängt, Deutschland von der Welt abzuschotten.

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