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Meinung: Warten auf damals

In Köln ist Popkomm – und niemand will die Zukunft erfinden

Von Esther Kogelboom

Man muss heute nicht mehr 40 sein, um die Krise zu kriegen. Sogar auf den 30. Geburtstag zu warten, ist Zeitverschwendung: Jetzt gibt es endlich die Quarterlife-Crisis. Die bekommt man schon mit zarten 25 Jahren – Ausbildung abgeschlossen, der erste Job, die erste betriebsbedingte Kündigung.

Ein Blick nach Köln: da fließt nur noch der Rhein dort entlang, wo er hingehört. Sonst ist alles anders, wenn sich zum vierzehnten Mal wichtige Plattenbosse, Bands und andere Musikschaffende treffen. Die diesjährige Popkomm begann ja schon unter ungünstigen Vorzeichen, hatte doch der Bundesverband der Phonographischen Wirtschaft einen Tag vor Beginn die Zahlen des ersten Halbjahres 2002 vorgelegt: Der Absatz von Tonträgern ist weiter zurückgegangen, um 10,2 Prozent. Nur 797 Aussteller haben ihre Stände auf dem Kölner Messegelände aufgebaut, das sind 41 weniger als im vergangenen Jahr. Sogar MTV ist zu Hause geblieben. Auf dem Kongress wird diskutiert und lamentiert: Haben wir die Talsohle durchschritten? Liebt Viva nur dich, oder liebst du auch Viva? Wie tickt sie überhaupt, die Jugend? Was tun gegen böse Raubkopierer? Ja, und wie bläut man der Zielgruppe um Himmels Willen die Erkenntnis ein, dass geistiges Eigentum genauso gekauft werden muss wie ein Deoroller und dass das Klonen von CDs wie Ladendiebstahl ist?

Und dazu gibt es auf der Popkomm nicht nur Espresso auf Eis, zum Mitnehmen, umsonst, sondern auch fortgeschrittene Kuschelstimmung unter der erdrückend schweren Pärchendecke des Verdrängens und des Aufschubs. Eng Zusammenrücken und Ausharren lautet das Krisen-Credo, irgendwann wird alles wieder gut. Lass die Herren Musikmanager reden, wir haben Lautsprecher auf den Ohren, aus denen Musik von vor zehn Jahren tönt.

Gerade in Krisenzeiten sind Fantasie und Mut gefragt. Aber dort, wo früher die Speerspitze der Jugend zusammenkam, um Zukunft zu denken, herrscht heute Ratlosigkeit. Selbst die Compact Disc ist in die Jahre gekommen und gerade 20 geworden.

Vielleicht sind manche jetzt schadenfroh und sagen: Gut, dass dem Boom der letzten Jahre nun die allgemeine Katerstimmung folgt, das musste ja so kommen. Wehmut und Nostalgie mögen romantisch sein. Wenn aber in einer ohnehin antriebslosen Gesellschaft nicht mal mehr die Jungen Aufbruchstimmung verbreiten, dann ist etwas marode. Wer die Zukunft nicht bloß erleiden will, muss sie eben neu erfinden.

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