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Meinung: Warten auf ein Wunder

Der „Economist“ stellt Deutschland inzwischen ein schlechtes Zeugnis aus – zu Recht

Nur ein Wunder kann Deutschland retten. Mindestens die Fußball-Weltmeisterschaft muss her – doch selbst dann droht uns der wirtschaftliche Abstieg, das Auseinanderbrechen der Gesellschaft, die immer tiefere Spaltung in arm und reich. Düstere Perspektiven sind es, die das britische Wochenblatt „The Economist“ in seiner neuen Deutschland-Studie malt. So düster wie die Debatte über den Standort lange nicht mehr gewesen ist. „Warten auf ein Wunder“ sei das Einzige, was noch hilft, urteilt die Zeitung hilflos.

Nanu? War es nicht der „Economist“, der vor nicht einmal einem halben Jahr mit einer Titelgeschichte „Deutschlands überraschende Wirtschaft“ pries? Der im Wahlkampf dem damaligen Kanzler Schröder, der das Magazin triumphierend in die TV-Kameras hielt, mit seiner Mutmachgeschichte über die erstarkende deutsche Konjunkturkraft willkommenen Rückenwind gab?

Im vergangenen Sommer war genauso unklar wie heute, wohin dieses Land wirtschaftlich tatsächlich steuert: Sind wir eher Exportweltmeister oder eher fünfmillionenfach arbeitslos? Eher Börsenboomer oder eher Fabrikverlagerer? Seit die große Koalition regiert, findet eine Debatte über diese Fragen nicht mehr statt. Die drängenden Probleme – die Bildungsmisere, das Scheitern fast aller Hartz-Reformen, die galoppierenden Staatsschulden – kommen im Politalltag mangels einer schlagkräftigen Opposition kaum mehr vor. Oder sie werden von der schwarz-roten Konsensmaschine im Rahmen einer Pseudoreform abgehakt, die zwar für Ruhe im Regierungslager sorgt, aber großen wirtschaftlichen Schaden anrichtet – so geschehen bei der geplanten Mehrwertsteuer-Erhöhung.

Schon jetzt zeichnet sich ab, dass die Fähigkeit einer großen Koalition, den Reformstau aufzulösen, seit Jahren überschätzt worden ist. Das Ziel von Angela Merkel, die Republik bis 2015 wieder an die Spitze Europas zu führen, hat die Koalition bislang jedenfalls nicht mit belastbaren Vorhaben unterfüttert. Und wie wenig der Koalitionspartner SPD diesen Plan verinnerlicht hat, zeigt sich, wenn Einschnitte wie die Rente mit 67 zum Thema werden. Deshalb bleibt die Kanzlerin lieber im Unkonkreten, schiebt wichtige Reformen wie die Unternehmensteuern auf die lange Bank oder zieht eine Politik der kleinen Schritte vor.

Dabei wäre eine Bestandsaufnahme nötig, um den Deutschen wieder Vertrauen in ihr Land und seine zweifellos enormen Fähigkeiten einzuflößen. Der Aufschwung, der gerade anrollt, wäre dafür genau der richtige Zeitpunkt. Wenn die Wirtschaftsleistung erstmals seit vier Jahren wieder für alle spürbar wächst und die Arbeitslosigkeit sinkt, ließe sich darüber reden, wie das Wachstum auf Dauer gefestigt werden könnte: mit einer Entkopplung der Sozialsysteme vom Faktor Arbeit, einem Umbau des Bildungssystems auf allen Ebenen, einer effizienteren Förderung Benachteiligter auf dem Jobmarkt.

Da sind dicke Bretter für eine Regierung zu bohren. Diese weiß Gott nicht neuen Fragen, da hat der „Economist“ Recht, werden darüber entscheiden, ob Deutschland den globalisierten Wettbewerb aushalten kann. Oder ob der Koalitionsräson zu Liebe fast alles bleibt, wie es ist, und es zur Gewohnheit wird, dass im Winter fünf Millionen Menschen ohne Arbeit sind. Dann könnten wir tatsächlich nur noch auf Wunder hoffen.

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