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Meinung: Warum will in Deutschland niemand über sein Gehalt reden? Wir betrachten die Dinge mit jungen und alten Augen

Lieber Hellmuth Karasek, ich dachte an einen ersten Satz wie: „Ich verdiene im Monat soundso viel Euro." Das letzte Tabu, das es nach Abtreibung und Homosexualität in Deutschland noch zu brechen gilt.

Lieber Hellmuth Karasek, ich dachte an einen ersten Satz wie: „Ich verdiene im Monat soundso viel Euro." Das letzte Tabu, das es nach Abtreibung und Homosexualität in Deutschland noch zu brechen gilt. Niemand spricht gerne darüber. Sollte man also flächendeckend damit anfangen? Damit sich kein Manager mehr rausreden kann? „Was meinst du“, habe ich eine Freundin gefragt, „kann man so die Kolumne beginnen?“ „Bist du verrückt!", hat die gesagt, „du musst immer den Anschein erwecken, als würdest du verdammt gut verdienen. Nur so wird man ernst genommen.“ Dann habe ich meinen Vater angerufen, ExBeamter. „Papa, kann man so eine Kolumne beginnen?“ Nein!, hat er gesagt. Nachher sind die Leute, die weniger verdienen, neidisch. Egal ob sie schwitzend mauern oder klimatisierte Artikel bearbeiten. Und ein Bekannter sagte, in internationalen Anwaltskanzleien weiß jeder, was der andere verdient, weil das Leistungsdruck erzeugt. Was meinen Sie, Herr Karasek, sollte man mit so einem Satz eine Kolumne beginnen? Ihre Kerstin Kohlenberg

Liebe Frau Kohlenberg, als Ernst Josef Aufricht, der Betreiber des legendären „Theaters am Schiffbauerdamm“, wo 1929 die noch legendärere „Dreigroschenoper“ von Brecht/Weill uraufgeführt wurde, 1933 von Berlin nach New York emigrieren musste, notierte er einen ersten Unterschied zwischen der Kulturszene in Berlin und New York. Er las nämlich in der Zeitung, dass in der Carnegie Hall der „10 000-Dollar-Tenor“ Joseph Schmidt auftreten würde. Die Abend-Gage als Zeichen von Qualität und Erfolg – wie heute die Quote oder Bestseller-Liste, das war damals im alten Europa unfein und unüblich. Heute geht es mehr darum, was Ackermann, Schrempp und seinesgleichen verdienen – wie wir alle finden, Sie und ich, zu viel. Aber im Vergleich zu Madonna oder Jauch oder Sting in Ordnung. Es geht um Neid und Übermut und „Gürtel enger schnallen", sogar um Solidarität. Ihre tarifnahen Einkünfte (verzeihen Sie!) können Sie nun veröffentlichen oder nicht. Mich werden Sie weder neidisch noch mitleidig machen. Herzlich, Ihr Hellmuth Karasek

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