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Meinung: Warum wir gehen

Meine Generation wandert aus, weil ihr die Perspektiven fehlen Von Mercedes Bunz

Die ersten meiner Freunde gingen vor zwei Jahren. Natürlich hatte sich der eine oder andere schon immer mal wieder im Ausland aufgehalten – internationale Erfahrungen zu sammeln, das sei gut für den Lebenslauf, hieß es. Diesmal war es jedoch anders. Es war endgültiger. Anne und Marcus lösten ihre Wohnung auf, verschenkten die Waschmaschine, packten den Rest in Umzugskisten und verschwanden nach San Francisco. Für junge Webdesigner, die gerade mit der Universität fertig waren, war in Berlin nach der Krise der New Economy kein Platz. In San Francisco schon. Anne und Marcus blieben nicht die Einzigen. Immer öfter zogen Freunde in den letzten Jahren ins Ausland. Dort unterrichteten sie, entwarfen Architektur oder arbeiteten im Krankenhaus.

Noch nie haben so viele Deutsche ihrem Land den Rücken gekehrt wie in den letzten Jahren. Ludwig Georg Braun, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, warnte deshalb kürzlich vor einem „brain drain“ und sprach von Alarmzeichen. Dass die gut ausgebildeten Köpfe diesem Land den Rücken kehren, ist jedoch alles andere als überraschend – den Alarm hat man selbst mit ausgelöst.

Was wollen die eigentlich, sagt jetzt vielleicht die ältere Generation, denn man kann natürlich sagen, dass es uns gut geht. Sozial sind wir abgesichert, keiner wird also verhungern. Aber hier geht es nicht um realen Reichtum, es geht um gefühlte Perspektive. Und die sieht in unserer Gesellschaft nicht mehr gut aus. Schon in der Schule macht man uns klar, dass ein zukünftiger Arbeitsplatz keineswegs sicher ist. Bekommen wir einen, bedeutet das nur noch wenig, denn man wird heute seine Karriere nicht mehr in einer Firma oder in einem Beruf machen. Wir leben in Zeiten der Flexibilisierung. Da gilt dann die Arbeitslosenversicherung nur noch ein Jahr, gleich wie lange wir eingezahlt haben, danach droht Hartz IV. Auch die Rente, in die wir sowieso schon später gehen, ist nicht mehr sicher, man rät uns, privat vorzusorgen. Der Staat zieht sich von uns zurück, was bleibt, sind Freunde und Familie. Aber, so sagt man uns, ein solches Zurückfahren der sozialen Absicherung sei in Zeiten der Globalisierung eben notwendig, es gehe um den Standort Deutschland und für den müssten die Lohnkosten eben runter.

Wir leben nach dem Ende der ideologischen Utopie. Das ist bekannt. Was man jetzt entdeckt: Wir leben auch nach dem Ende einer persönlichen Utopie, der Utopie, sich ein privates Glück selbst aus eigener Kraft dauerhaft schaffen zu können.

Der Weg dorthin führte lange über Bildung. Wenn man es schaffte, seinem Kind einen Ausbildungsplatz zu sichern, war der Aufstieg nach oben offen, denn auch über den zweiten Bildungsweg konnte man Karriere machen. Diese Zeiten sind vorbei. Nicht einmal der erste Bildungsweg sichert heute noch die Existenz.

Wir haben keine Perspektive. In Deutschland lebt nach Jahrzehnten die erste Generation, die weiß, dass es ihren Kindern nicht besser gehen wird als ihr selbst. Kein Wunder, dass sie keine bekommt, sie weiß selbst nicht genau, wie es ihr in der Zukunft gehen wird. Auf sie warten dynamische, flexible Zeiten, kein Aufstieg, keine Familie und kein Eigenheim. Und jetzt beschwert man sich, dass wir Deutsche auswandern. Was hat man eigentlich von uns erwartet? Jahrelang hat man uns mehr Eigenverantwortung gepredigt und uns erklärt, dass man auf Staat und Gesellschaft nicht mehr zählen könne, das Ende des Wohlfahrtsstaates sei erreicht. Man könne das nicht mehr „alimentieren“.

Wir sollten bereit sein, im Bedarfsfall umzuschulen, uns neuen Horizonten zu stellen und Familie, Freunde und Umfeld zu verlassen, um der immer knapper werdenden Arbeit hinterherzuziehen. Und jetzt wundern sich alle, wenn wir das tatsächlich tun. Sagen wir es so: Leistung muss sich wieder lohnen, finden wir. Und damit das für uns so ist, gehen wir weg, woanders hin.

Die Autorin, geboren 1971, ist Chefredakteurin des Berliner Stadtmagazins Zitty.

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