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Meinung: Was kommt nach dem Aus in der Politik?

Der Fall Strieder und die Verflechtung von Regieren und Beraten Von Daniel Dettling

Noch läuft gegen den ehemaligen Berliner Senator für Stadtentwicklung Peter Strieder ein Verfahren der Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Untreue und Vorteilsannahme. Das hindert weder ihn noch seinen neuen Arbeitgeber Public Affairs, eine der umsatzstärksten Agenturen für politische Kommunikation, politisch tätig zu werden. Strieder hat, wie viele seiner früheren Kollegen in der Politik, die Seite gewechselt und soll Unternehmen bei ihrer „strategischen Neuausrichtung“ beraten.

Es geht nicht um Moral. Es geht um Politik. Der gute, alte Grundsatz „Im Zweifel für den Verdächtigten“ muss auch für ehemalige Politiker gelten, die die Seiten wechseln. Ob sich der Wechsel für beide lohnt, soll der Markt für Beratung und Kommunikation entscheiden. Wer Politiker wird und wie mit ehemaligen Politikern verfahren werden soll, kann der Markt jedoch nicht entscheiden. Hier muss die Politik Antworten finden. Politiker sind knapp und werden nicht als solche geboren.

Der Abgang des ehemaligen Präsidenten der Bundesagentur für Arbeit aufgrund von Beraterverträgen blieb weitgehend ohne Folgen für Berater und Politik. Florian Gerster musste gehen, weil es keine Transparenz und keine Qualitätskontrolle gibt auf einem Gebiet, das weitgehend der öffentlichen Demokratie entzogen ist: der Politikberatung.

Die Gerster beratende Agentur bezahlt immer noch das Mitglied des Bundestagsausschusses für Wirtschaft, den amtierenden Schatzmeister der FDP, Günter Rexrodt. Vorsitzender des Aufsichtsrates ist immer noch der frühere Außenminister Hans-Dietrich Genscher. Neben dem früheren Mitfinanzier der Schill-Partei Ulrich Marseille, einem Betreiber von staatlich subventionierten Kliniken in Ostdeutschland, sitzt Roland Berger im Aufsichtsrat.

Diese Verflechtung von Politik, Wirtschaft und Beratung in Gremien, die geschaffen wurden, um Transparenz und Kontrolle zu gewährleisten, wäre in den USA unvorstellbar. Ein Good-Governance-Kodex für Politik fehlt im Land der späten Demokratie.

Darunter leidet nicht nur die Politik. Die mangelnde Transparenz ist Folge eines massiven Qualitäts- und Qualifikationsdefizits. Und Ursache des sich jährlich verschlechternden deutschen Rankings in der Korruptionsstatistik von Transparency International.

Die Rekrutierung und Sozialisation politischen Personals sind entscheidende Voraussetzungen für die Qualität der Politik. Es ist Aufgabe der Parteien, eine möglichst repräsentative Auswahl politischer Akteure aus allen Interessenschichten und mit unterschiedlichem Erfahrungshintergrund „auf Zeit“ zu rekrutieren und weiterzubilden. Dieser Aufgabe werden die Parteien nicht mehr gerecht.

Solange Instrumente und Mechanismen für den Ein-, Aus- und Umstieg zur Politik fehlen, läuft die Politikerkarriere Gefahr, zur beruflichen Sackgasse zu werden. Wer wird dann noch Politiker? Den Parteien bleibt nichts anderes übrig, als politisches Personal in „geschützten“ Bereichen (öffentlicher Dienst, Verbände) zu rekrutieren. Wie innovativ und professionell kann unter diesen Umständen das System Politik selbst sein? Und woher kommt der nötige Druck zur Selbstreform?

Abhilfe können nur die Institutionen schaffen, die in der Verfassung für die politische Willensbildung und damit für Transparenz, Qualität und Kontrolle vorgesehen sind: die Parteien. Statt auf „Kommunikationsberater“ zu setzen, sollten sie sich eine zeitgemäße Personal- und Organisationsentwicklung geben. Die Politikverflechtung des Außensystems Politik (Föderalismus) korrespondiert mit der Verflechtung des Binnensystems (Parteien). Politik ist ein Handwerk, das man lernen kann. In Deutschland regiert jedoch eine Klasse von Autodidakten.

Strategische Politikberatung hat in Deutschland keine Tradition. Das heißt aber nicht, dass sie keine Zukunft hat. Schulen und Akademien für Politik und Beratung kann man gründen. Parteien auch als Orte der politischen Debatte, Schulung und Bildung? Die besten Schools of Governance sind immer noch die Parteien selbst. Im Dienste einer nachhaltigen Zukunftspolitik sollten die Vorsitzenden Müntefering, Merkel, Bütikofer und Westerwelle ihre Parteien zu lebendigen und dynamischen Think Tanks (Denkfabriken) machen. Nicht nur der Wirtschaftsstandort, auch der Politikstandort Deutschland braucht eine strategische Neuausrichtung.

Der Autor leitet den Think Tank „berlinpolis“ (www.berlinpolis.de).

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