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Meinung: Was nicht vergeht

Von Claudia von Salzen

In letzter Sekunde zog der Vatikan die Notbremse: Der neue Warschauer Erzbischof Stanislaw Wielgus trat kurz vor dem feierlichen Gottesdienst zum Amtsantritt zurück. Doch das Krisenmanagement des Vatikan hat in diesem Fall versagt: Wenn Wielgus nach den Enthüllungen über seine Kontakte zur kommunistischen Staatssicherheit als Erzbischof nicht mehr tragbar war – warum durfte er dann am Freitag noch offiziell die Amtsgeschäfte übernehmen? Die Fakten waren spätestens seit Donnerstag nicht mehr zu übersehen, Historiker hatten die Zusammenarbeit des Kirchenmannes mit dem Geheimdienst bestätigt. Konkrete Vorwürfe gegen Wielgus lagen schon kurz vor Weihnachten auf dem Tisch. Wielgus selbst stritt damals alles ab und sagte, jemand wolle ihn vernichten. Erst als jetzt seine Verpflichtungserklärung veröffentlicht wurde, gab er die Zusammenarbeit mit der Staatssicherheit zu. Geschadet haben will er aber niemandem.

Wo endet das nicht ganz freiwillige Gespräch, wo beginnt die aktive Mitarbeit? Wie zuverlässig sind die Akten einer Behörde, die die Kirche mit größtem Argwohn verfolgte? Wer wurde von der Staatssicherheit zur Mitarbeit gezwungen, wer gab bereitwillig Auskunft? Diese Fragen führen in eine Grauzone. Einfache Antworten gibt es nicht. Doch selbst wenn es im Vatikan Zweifel an der Schwere der Spitzelvorwürfe gegeben hat – die Glaubwürdigkeit des designierten Erzbischofs war spätestens durch dessen Umgang mit der Wahrheit endgültig dahin. Die Vergangenheitsbewältigung hat in Polen eine Eigendynamik angenommen, die für Außenstehende oft schwer nachvollziehbar ist. Die sogenannte Lustration, die Durchleuchtung von Personen auf ihre Verstrickung in die Arbeit der Geheimdienste, ist ein Hauptziel der rechtspopulistischen Regierung Kaczynski. In den vergangenen Jahren ist das Thema allerdings immer wieder instrumentalisiert worden, um politische Gegner zu diskreditieren. Von einer sachlichen Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit ist Polen noch weit entfernt – ebenso wie die katholische Kirche.

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