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Meinung: Was Schule macht

Die Verwahrlosung verwalten: Wie Berlin sich mit dem Sozialnotstand abfindet

Vor vier Wochen hatten die allein gelassenen Lehrer der Rütli-Schule um Hilfe gerufen, vier Wochen lang tat sich – nichts. Ein Skandal, der nur deshalb als solcher kaum auffällt, weil er sich so oder ähnlich zu oft wiederholt. Für die Betroffenen aber bleibt der Schrecken auch beim nächsten Mal noch ein Schrecken. Erst als der Tagesspiegel den Brief des Kollegiums in die Hände bekam und veröffentlichte, drehten die Behörden auf – und auch gleich wieder durch. Plötzlich stehen Sozialarbeiter bereit, patroullieren Polizisten vor der Tür, lässt sich ein Reinickendorfer Schulleiter für ein paar Monate zum Auslandseinsatz nach Neukölln schicken.

So viel Anstrengung. Dabei hatte die Politik den Bezirk doch eigentlich schon abgeschrieben.

So bleibt’s ja auch. Seit Jahren ist Neukölln der Inbegriff von Endstation. Der Staat zieht sich zurück, und dort, wo er offensiv auftritt, gerät er leicht in Lebensgefahr.

Es ist schön für die Rütli-Schule, dass sie für ein paar Tage oder gar Wochen etwas Zuwendung bekommt. Gleich nebenan aber stehen die Zeichen genauso auf Sturm. An der Politik bleibt der Makel, dass sie nicht wirklich agiert und auch jetzt wieder zu spät und nur punktuell reagiert. Nicht erst seit einem Monat, als der Brief der Lehrer ankam, ist den Verantwortlichen in den Behörden bekannt, was sich da abspielt im Schatten der schicken Galas, nur ein paar Kilometer entfernt. Mit ganz kleiner Münze wurde ja auch das ein oder andere gezahlt, ein paar Quartiersmanager, Psychologen, Tischtennisplatten. Nein, man kann dem Senat nicht vorwerfen, er hätte die soziale, moralische und rechtliche Verwüstung Neuköllns und anderer problematischer Orte der Stadt nicht beaufsichtigen lassen.

Ebenso, wie die Rütli-Schule allein nicht das Problem ist, kann der Senat die Probleme allerdings allein auch nicht lösen, der Bezirk schon gar nicht. Phänomenal jedoch ist es schon, wie auf allen Ebenen der Verwaltung ein geradezu voyeuristisches Verhalten gegenüber zunehmender sozialer Verwahrlosung vorherrscht, ähnlich wie bei der demografischen Entwicklung des Landes, die ja auch nicht plötzlich wie ein fauler Apfel vom Baum der Erkenntnis fällt.

Bekannt wie die Zustände in Neukölln sind auch die Erklärungen der verschiedenen Interessengruppen, die jetzt wieder zu hören sind. Dazu gehört, selbstverständlich, auch die Hauptschulfrage als immergrüner Kampfplatz der Bildungsideologen. Doch in der Schule, egal welcher, zeigt sich nur, was anderswo versäumt wird; allenfalls verstärkt es die eine Schule etwas mehr als die andere.

Interessanter ist: Wie viel Migration steckt in der Eskalation? Die türkischen Verbände sagen, die Konflikte seien nicht ethnisch, sondern sozial zu erklären. Richtig daran ist, dass es in Deutschland eine soziale Integration kaum noch gibt, unabhängig von der ethnischen Herkunft. Jede Schicht ist mit ihren Problemen für sich. Deswegen hat man sich jenseits von Neukölln ja auch an Neukölln so prima gewöhnt. Richtig ist auch, dass Gewalt nicht einer Ethnie allein gehört. Bestimmte Verhaltensweisen, die gegen die Regeln und Gesetze dieses Landes stehen, sind Folgen von Armut und mangelnder Perspektive. Dass kulturelle Prägung aber nichts mit alledem zu tun hat, was in Neukölln geschieht, das ist ein Märchen aus 1001 Nacht.

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