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Meinung: Was Spielberg verschweigt

Warum Israel die Mörder von München tötete – und auch Europa daran Schuld hat

Es ist kaum anzunehmen, dass Steven Spielbergs „München“ in Europa ähnliche Kontroversen auslösen wird wie in den USA. Denn Spielberg bedient mit der Geschichte der israelischen Vergeltung für das Massaker bei den Olympischen Spielen 1972 ein hier weit verbreitetes Klischee: Dass Gewalt stets schlecht ist und allein mehr Gewalt herausfordert. „Das ganze schafft nur ein Perpetuum mobile“, sagte Spielberg in einem Interview.

Dem Filmemacher ging es offenbar auch darum, eine Parallele zum amerikanischen Antiterrorkampf unserer Tage zu ziehen. Möglicherweise liegt hier die Ursache für die historischen und moralischen Unschärfen des Films. Denn tatsächlich sind die Möglichkeiten der USA heute weit größer als es die der Israelis je waren, Terroristen vor ein ordentliches Gericht zu stellen. Inzwischen kooperieren ja sogar arabische Staaten im Kampf gegen Al Qaida, Israel hingegen konnte sich nach dem Massaker 1972 nicht einmal auf die Deutschen verlassen: Statt die überlebenden drei Attentäter vor Gericht zu stellen wurden sie zwei Monate später wieder freigelassen. Eine Politik des Appeasement, die in Europa schon vorher begonnen hatte: Verhaftete Geiselnehmer wurden prompt wieder laufen gelassen, wenn die nächste Flugzeugentführung kam. Später ging man in ganz Europa dazu über, arabische Terroristen sofort in den Orient auszufliegen, um sich gar nicht erst Ärger einzuhandeln.

Angesichts der Weigerung der meisten Staaten, Israel im Antiterrorkampf zu unterstützen, blieben also nach dem Münchner Massaker nur drei Optionen: auf eine Bestrafung der Täter zu verzichten, die Ermordung der Planer und Auftraggeber des Attentats oder die ebenfalls gegen internationales Recht verstoßende Eichmann-Variante – die Hintermänner im Ausland zu kidnappen und in Israel vor Gericht zu stellen. Letzteres war eine in arabischen Ländern kaum praktikable Lösung, und selbst in Europa hätte man so das Leben vieler Unschuldiger gefährdet, ganz zu schweigen von den diplomatischen Eklats, die Entführungen ausgelöst hätten.

Israel entschied sich für die Ermordung von Mitgliedern des „Schwarzen September“. Nicht, wie oft mit alttestamentarischem Tremolo gesagt wird, um „Rache“ zu üben. Es ging um Abschreckung. Die hatte schon einmal funktioniert gegen die Fedajin, die trotz Waffenstillstands in den 50er und 60er Jahren von jordanischem und ägyptischem Gebiet aus Israel attackierten. Erst, als Israel mit Angriffen auf deren Territorium antwortete, hörten die Attacken auf.

Aus dieser historischen Erfahrung heraus setzte Israel nach dem Massaker an seinen Sportlern abermals auf Abschreckung. Einmal, um die am Münchner Attentat beteiligten von weiteren Anschlägen abzuhalten. Zum Zweiten, um palästinensischen Aktivisten vor Augen zu führen, wie gefährlich Terror sein konnte.

Wer also aus Spielbergs Film kommt und sich über Israel moralisch empört, sei darauf hingewiesen, dass es deutsche Unfähigkeit war, die die Ermordung der israelischen Sportler begünstigte und dass es deutsche Unmoral war, die die juristische Verfolgung zumindest der überlebenden Attentäter verhinderte. Und dass die laxe Haltung der Europäer gegenüber arabischen Terroristen diese damals geradezu ermuntert hatte, ihre Strategien weiterzuverfolgen.

Wie Alan Dershowitz vorgerechnet hat, waren Ende 1975 von 204 Terroristen, die zwischen 1968 und 1975 außerhalb des Nahen und Mittleren Ostens verhaftet wurden, nur noch drei im Gefängnis. Es gab also keine realistische Aussicht für Israel, die am Attentat Beteiligten auf legalem Wege bestraft zu sehen oder sicherzustellen, dass sie keine weiteren Anschläge begehen würden. Eine Realität, die Spielberg ausblendet.

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