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Die deutschen Sportler haben das Ziel für Olympia verfehlt. Ist das schlimm?

© dapd

Was wird nach Olympia?: Der deutsche Sport muss sich bewegen

Der deutsche Sport formuliert nicht, wofür er stehen will und wer für ihn warum an den Start gehen soll, sondern rechnet nur Medaillen zusammen. Für die Zukunft reicht das nicht.

Ist das schlimm? Die deutschen Sportler haben bei den Olympischen Spielen gut 40 Medaillen errudert, erturnt, erworfen, erkämpft. Sie schufen Momente, die bei Zuschauern große Gefühle für eine Sekunde oder ein paar Stunden weckten: als Stabhochspringer über sich hinaus in den Himmel wuchsen, als Beachvolleyballer am Themsestrand eine Sambaparty feierten, ja, auch als eine Siebenkämpferin und eine Hammerwerferin um ihre Leistungen weinten und auf Anerkennung durch hemdsärmlige Wettkampfgerichte warteten. Na ja, und es gab noch unsere Schwimmer. Die deutsche Bilanz von London schimmert eher silbern als golden – und legt man die vom Bundesinnenministerium widerwillig veröffentlichte Zielvorgabe von mehr als 80 Medaillen daneben, erscheint alles blechern. Vor allem die Zielvorgabe.

Die Lehre für den deutschen Sport ist eine Leere inhaltlicher Art. Erwartet der Zuschauer und Steuerzahler zu viel? Formulieren Deutscher Olympischer Sportbund (DOSB) und die Fachverbände nur hoch gesteckte Ziele, um hoch gesteckte Fördersummen abzugreifen – oder um die Athleten zu motivieren? Und sind die nicht heiß genug, nachdem sie vier Jahre lang für ein Rennen trainiert haben? Zu diesen Fragen, erstmals laut gestellt auch von Athleten selbst, fällt den Sportverbänden so wenig ein wie zum umstrittenen Fall der wegen ihres Nazi-Freundes abgereisten Ruderin Nadja Drygalla. Der deutsche Sport formuliert nicht, wofür er stehen will und wer für ihn warum an den Start gehen soll, sondern rechnet nur Medaillen zusammen. Als Qualifikation für die nächsten Spiele reicht das nicht.

Bildergalerie: Deutsche Medaillengewinner 2012

Leistungssport kostet, er ist ja Kultur: 130 Millionen Euro zahlt das Innenministerium jährlich für Stützpunkte und Trainer, 30 Millionen die Bundeswehr für Sportsoldaten, 14 Millionen kommen von der Sporthilfe. Im Weltvergleich ist das wenig, der Durchschnittsverdienst eines Spitzensportlers liegt bei 1919 Euro brutto – für 60 Wochenstunden. Doch mehr Geld holt längst nicht mehr Gold (in China siegt der Drill von Teenagern mit, in Russland gibt es kaum Dopingkontrollen). Am Ende muss man gewinnen wollen, sich selbst bezwingen. Diskuswerfer Robert Harting zeigt das, Schwimmerin Britta Steffen hat es vergessen.

Bildergalerie: Olympische Momente zwischen Tränen und Freudentaumel

Erfolg liegt im Detail: Die meisten deutschen Medaillen gewannen Kanuten und Ruderer – Studentensportler. Die bekommen Probleme, wenn sie ihr Trainingslager selbst zahlen sollen oder eine Klausur nicht verschieben dürfen. Hier sind die Verbände als Kümmerer gefordert. Zudem müssen Vereine stärker mit Ganztagsschulen und Universitäten kooperieren, um Neugier zu wecken und Talente zu finden (wie in Großbritannien). Trainer sollten besser ausgebildet und bezahlt werden. Der organisierte Sport muss aktiv die Gesellschaft dafür gewinnen, sich zu bewegen und sich zu ihm zu bekennen. Gleich um die Ecke – und mithilfe von Olympia: Deutschland sollte sich endlich ernsthaft für Sommerspiele starkmachen, um Momente zum Erinnern und Nachmachen zu schaffen. Doch hier taktiert sich der DOSB ins Abseits.

Ein staatlich gelenkter Zentralsport entspricht der bunten Republik Deutschland nicht. Nur im Pluralismus gedeihen Vielfalt und Eigensinn. Unser Team in London ist sympathisch und siegt ab und zu. Es braucht keine Medaillenziele, die immer schneller immer höher geschraubt werden. Der deutsche Sport benötigt etwas anderes: eine Idee von sich selbst.

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