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atomstromneindanke

© dpa

Was WISSEN schafft: Atomkraft? Nein danke!

Die Energiekrise ist kein Argument für ein nukleares Comeback. Dabei wird das eigentliche Problem wieder einmal unter den Teppich gekehrt, bis zum nächsten Tschernobyl.

Es ist immer wieder erstaunlich, wie wandlungsfähig Politiker sind. In den 70er Jahren kämpften die Grünen und große Teile der SPD für eine ökologische Wende, gegen den erbitterten Widerstand der Union. Heute beschuldigen ausgerechnet die Vorsitzenden der christlich- konservativen Parteien ihre ökologisch gesinnten Gegner, nicht genug gegen den Klimawandel zu tun, jedenfalls nicht das Richtige.

Richtig wäre, davon sind Angela Merkel und Erwin Huber überzeugt, den von Rot-Grün beschlossenen und im Koalitionsvertrag verankerten Atomausstieg rückgängig zu machen. Damit das nicht wie Vertragsbruch aussieht, werden regelmäßig "unerwartete Entwicklungen“ ausgemacht, die den Beschluss von damals in neuem Licht erscheinen lassen – Verträge können ja auch im normalen Leben gekündigt werden, wenn die Geschäftsgrundlage wegfällt.

Die SPD ist kurz vor dem Einknicken

Der alarmierende Bericht des Klimarates der Vereinten Nationen (IPCC) 2007 war für industriefreundliche Politiker so ein unerwartetes Ereignis. Jedenfalls forderten sie daraufhin vehement eine Rückkehr zur Kernenergie, der Umwelt zuliebe. Ein halbes Jahr später warnte die Internationale Energieagentur (IEA) vor Abhängigkeit von russischem Erdgas – sofort forderten konservative Politiker und Strommanager längere Laufzeiten für die deutschen Atomkraftwerke (Akw).

Jetzt sind auch noch die Öl- und Gaspreise explodiert: Der Schrei nach einem Ausstieg aus dem Atomausstieg wird ohrenbetäubend, die SPD ist kurz vor dem Einknicken – schließlich stehen Wahlen vor der Tür und in Umfragen ist mittlerweile fast die Hälfte der Bevölkerung für längere Laufzeiten.

Längere Laufzeiten sind lebensgefährlich

Trotz berechtigter Angst vor schwindendem Wohlstand, politischer Destabilisierung und Treibhauseffekt darf jedoch nicht einfach verdrängt werden, weswegen der Atomausstieg seinerzeit beschlossen wurde: Die Kernenergie birgt das konkrete Risiko, Hunderttausende Menschen zu töten und erhebliche Teile der Erdoberfläche unbewohnbar zu machen.

Die Gefahr ist nicht geringer, sondern sogar noch höher als vor zehn Jahren. Zwar ist die neueste Reaktorgeneration deutlich besser gegen Kernschmelze und austretende Radioaktivität geschützt. Doch die gestiegene Gefährdung durch Terroranschläge macht den technischen Sicherheitsfortschritt mehr als zunichte.

Zudem sind neue Kernkraftwerke astronomisch teuer und die Hersteller auf Jahrzehnte ausgebucht. Deshalb bewirkt die zunehmende Akzeptanz der Nukleartechnik vor allem, dass veraltete Akw länger laufen dürfen, insbesondere in Ländern mit schlechten Sicherheitsstandards und mangelndem Schutz vor Anschlägen.

Kollektiver Wahnsinn

Schließlich ist das Kardinalproblem der Kernenergie weltweit nach wie vor ungelöst: Rund 300.000 Tonnen hoch radioaktiver Abfall, darunter 2000 Tonnen des giftigen Bombenstoffes Plutonium, strahlen mangels Endlager in überirdischen, improvisierten Hallen vor sich hin. Dass in dieser Situation zu den rund 450 existierenden Akw demnächst rund 100 neue hinzukommen sollen, die meisten in Entwicklungs- und Schwellenländern, grenzt an kollektivem Wahnsinn.

Übrigens wurden die angeblich „neuen“ Argumente für die Kernenergie – Verknappung fossiler Energieträger, Klimawandel und Abhängigkeit vom Öl- und Gasimport – bereits vor zwanzig Jahren diskutiert. Deshalb war der Atomausstieg mit dem Vorsatz verbunden, nachhaltige Energien schnell weiterzuentwickeln.

Bequemlichkeit hilft nicht weiter

Doch die Windradhersteller sahnten lieber Subventionen für nutzlose Generatoren an Land ab, statt in die teure Offshoretechnik zu investieren. Biosprit wird – ernährungsökonomisch unsinnig – aus Getreide, Zuckerrohr und Pflanzenölen gewonnen, statt Verfahren für die Verwertung von Zelluloseabfällen zu entwickeln. Die Solarenergie kommt noch schleppender voran, von den Irrwegen bei der Wasserkraft – etwa in China – ganz zu schweigen.

Bei der Energieversorgung geht es der Menschheit deshalb wie beim Klimaschutz: Weil sie jahrzehntelang bequem weitermachte wie bisher, ist die Krise jetzt nicht mehr abzuwenden – das Gebot der Stunde heißt "Anpassung“. Also müssen, mangels Alternativen, die Restlaufzeiten der Kernkraftwerke notgedrungen verlängert werden.

Das löst das Energieproblem aber genauso wenig wie ein höherer Deich das Erdklima rettet. Und es birgt die Gefahr, dass sich alle wieder für ein paar Jahrzehnte zurücklehnen – weil es bequem ist und der Strom ja sowieso aus der Steckdose kommt.

Der Autor ist Institutsdirektor und Professor für Medizinische Mikrobiologie in Halle

Alexander S. Kekulé

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