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Was WISSEN schafft: Blindwütige Ermittler

Beim angeblichen Amoklauf in Köln hat die Polizei versagt

Am Sonntag sah alles nach einem fetten Fahndungserfolg aus. In einer eilig einberufenen Pressekonferenz protzte die Polizei, sie habe in letzter Minute ein Blutbad verhindert: Zwei Schüler hätten einen „Amoklauf“ im Kölner Georg-Büchner-Gymnasium geplant. Der akribisch vorbereitete Massenmord an vermutlich 17 Lehrern und Mitschülern hätte bereits am Dienstag stattfinden sollen, dem Jahrestag des Dramas von Emsdetten. Vor einem Jahr hatte dort ein schwer bewaffneter ehemaliger Schüler 37 Menschen verletzt und sich danach erschossen. Die Kölner Ermittler erinnerten auch an die 14 Toten des amerikanischen Colombine-Massakers von 1999 und an den Amoklauf mit neun Toten im finnischen Tuusula vom 7. November 2007. In Köln dagegen sei alles noch mal gut gegangen, dank der umsichtigen Arbeit der Polizei. Einer der mutmaßlichen Attentäter, der 17-jährige Rolf B., habe sich das Leben genommen, nachdem die Tatvorbereitungen aufgeflogen waren – die trockene Mitteilung wirkt wie ein Schuldbeweis, schließlich haben sich auch die anderen Amokläufer selbst getötet.

Auf dem Präsentiertisch liegen die Mordwerkzeuge, mit denen angeblich die bestialische Tat verübt werden sollte: Auf den ersten Blick sehen die Schusswaffen aus wie bei den Massakern von Colombine, Emsdetten und Tuusula. Widersprüchlich wird es erst, als die Beamten von sichergestellten „Softair-Waffen“ und zwei „Armbrüsten“ sprechen – Luftpistolen und Pfeile? Für einen Amoklauf?

Softair-Waffen sind für eine Körperverletzung ungeeignet, sie wurden sogar speziell als Spielzeug entwickelt: Bei dem „Airsoft“ genannten Geländespiel bekriegen sich kindische Zeitgenossen in Tarnanzügen. Im Gegensatz zu den Bleigeschossen der guten alten Luftgewehre können die harmlosen, biologisch abbaubaren Kunststoffkugeln der Softairs nicht einmal eine Taube töten. Wer im Spiel getroffen wird, muss „Aua!“ oder „hit!“ schreien, sonst gilt es nicht. Auch wenn Treffer im Auge weit ungefährlicher sind als bei Luftgewehren, wird sicherheitshalber mit Schutzbrille gespielt.

Im Gegensatz dazu kann der Pfeil einer Armbrust tödlich sein – die 400 vor Christus in China erfundene Kriegswaffe war bis in das späte Mittelalter gefürchtet. Sie hat jedoch zwei gravierende Nachteile. Erstens ist die Reichweite einer Armbrust gering. Eine zur Jagd verwendete, starke Armbrust erzeugt eine kinetische Energie von rund 100 Joule – genauso viel wie ein Sportbogen und fünfmal weniger als eine Neun-Millimeter-Pistole. Da Armbrustgeschosse jedoch schwerer sind als die im Bogensport verwendeten Pfeile, verlieren sie ihre Bewegungsenergie schneller: Nach 80 Metern haben sie im Allgemeinen keine durchdringende Wirkung mehr. Da überdies nur gut gezielte Schüsse tödlich sind, rechnen geübte Armbrustjäger mit einer effektiven Reichweite von rund 50 Metern – mit teuren Profiwaffen und einer ruhigen Hand. Die in Köln präsentierte Eagle-5 des US-Herstellers Master Cutlery ist jedoch ein Billiggerät (85 Euro) von geringer Zielgenauigkeit.

Das zweite Problem ist das Nachladen der Armbrust. Die Eagle-5 wird mit 55 Kilogramm gespannt. Um diese enorme Zugkraft aufzubringen, muss die Armbrust senkrecht auf den Boden gestellt und mit dem Fuß in einem dafür vorgesehenen Stahlbügel festgehalten werden, zugleich wird die Sehne nach oben gezogen und eingehängt. Danach hält der Schütze die Armbrust wieder waagrecht und legt den Pfeil ein. Selbst mit viel Übung – die Sehne muss genau mittig eingehängt werden, sonst fliegen die Pfeile nicht geradeaus – dauert der Kraftakt mindestens 30 Sekunden: Ein „Amokläufer“ würde also spätestens nach dem ersten Schuss überwältigt werden.

Wie sich inzwischen herausstellte, hatten die Jugendlichen ihren absurden Plan längst aufgegeben. Das wirklich Erschreckende an dem Vorfall ist, dass die auf mögliche Amokläufer fixierte Polizei nicht erkannte, wo tatsächlich Gefahr im Verzuge war: Nach einem Gespräch der Schulleitung mit den Eltern und einem Stressverhör auf der Wache sahen die betriebsblinden Beamten keine Veranlassung, den Minderjährigen Rolf B. psychologisch betreuen oder zumindest abholen zu lassen. Das kommt der Bedeutung von „Amok“ ziemlich nahe: Im südindischen Malayalam bedeutet „amuk“ so viel wie „blindwütig“.

Der Autor ist Institutsdirektor und Professor für Medizinische Mikrobiologie in Halle. Foto: J. Peyer

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