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Was WISSEN schafft: Die Rettung des Klimas lässt sich nicht vertagen

Irgendeine Ausrede gibt es immer. Ob Katalysator oder Kyoto-Protokoll: Was einst abgelehnt wurde, stellte sich später als lohnenswerte Errungenschaft heraus. Doch die Finanzkrise avanciert mittlerweile zur Mutter aller Ausreden.

Irgendeine Ausrede gibt es immer. Die Einführung des Katalysators wurde bis 1985 immer wieder verschoben, weil die Autoindustrie warnte, der Deutschen liebste Kinder würden dadurch langsam, benzingierig und unbezahlbar. Als George W. Bush 2001 die Ratifizierung des Kyoto-Protokolls stoppte, verwies er auf die damalige Energiekrise in Kalifornien und mahnte, das Klimaabkommen würde die US-Wirtschaft lahmlegen.

Doch der Katalysator wurde zum Erfolgsmodell und die Autoindustrie profitierte sogar von der (steuerlich geförderten) Zunahme der Neuanschaffungen. Die kalifornische Energiekrise entpuppte sich als Folge politischer Fehler bei der Liberalisierung des Strommarktes. Und die an Kyoto gebundenen Industriestaaten stehen heute wirtschaftlich keineswegs schlechter da als die USA.

Bei der seit Montag in Posen stattfindenden UN-Klimakonferenz schwebt allerdings ein Totschlagargument im Raum, das selbst engagierte Klimaschützer ins Grübeln bringt. Angesichts der globalen Finanzkrise würden zusätzliche Klimaauflagen die Rezession verstärken. Die Billionen an Steuergeldern, die weltweit zur Rettung der Wirtschaft eingesetzt wurden, blieben dann womöglich ohne Wirkung. Also sollte die Rettung des Klimas, die ja ohnehin ein Jahrhundertprojekt ist, bis zur Überwindung der akuten Finanzkrise um ein paar Jahre verschoben werden.

In Posen – und bei den gleichzeitigen Verhandlungen des EU-Klimapakets – dient die Finanzkrise längst als Universalwaffe, um altbekannte Sonderwünsche durchzufechten. Deutschland will Entlastungen für Autohersteller und energieintensive Industrien. Gastgeber Polen und weitere Teilnehmer fordern mehr Zeit und Finanzhilfen, um ihre maroden Kraftwerke zu erneuern. Russland will den Klimaschutz ganz vertagen.

Die Finanzkrise ist derzeit dabei, zur Mutter aller Ausreden zu avancieren: Für Staaten, die beim Umweltschutz jahrelang keine Hausaufgaben gemacht haben. Für Autobauer, die Gewinne einsteckten, statt am Sparmotor zu forschen. Für Banker, die jetzt ein Sammelsurium von Altlasten an die Steuerzahler abtreten. Wie das nationale Wirtschaftsforschungsinstitut der USA diese Woche berichtet, begann die dortige Rezession bereits vor über einem Jahr – die Schieflage der Wirtschaft hat demnach strukturelle Gründe, die durch die Finanzkrise nur schneller zutage traten.

Der einzige Weg aus der Rezession, das wird auch die Kanzlerin früher oder später einsehen müssen, sind massive staatliche Konjunkturprogramme. Die nachfolgenden Generationen bekommen dadurch zwar mehr Staatsschulden, aber dafür eine funktionierende Wirtschaft und mehr individuellen Wohlstand vererbt. Voraussetzung ist jedoch, dass die Investitionen und Steuererleichterungen nachhaltig die Wettbewerbsposition des Staates und die Lebensqualität seiner Bürger verbessern. Unter den zaghaften Plänen der Bundesregierung sind Verbesserungen der Infrastruktur deshalb sinnvolle Beispiele – zumal sie häufig mit der Einführung umweltverträglicher Technologien kombiniert werden können. Steuererleichterungen für alle Neuwagen, unabhängig vom Abgaswert, sind dagegen Unfug.

Investitionen und Steuererleichterungen für den Umweltschutz sind nicht nur sinnvoll, weil sie die Existenzgrundlage menschlichen Lebens sichern. Die Folgen der Klimaerwärmung und versiegender fossiler Energieträger werden demnächst das größte Problem der Menschheit sein. Wer hier Lösungen anbietet, wird auch wirtschaftlichen Erfolg ernten. Sinnvoll wären deshalb massive Förderungen für die Entwicklung umweltverträglicher Autos, alternativer Energieträger, sauberer Kraftwerke und effizienter Gebäudeheizung. Das dadurch angestoßene Wirtschaftswachstum kann die Mehrbelastung durch die EU-Klimaziele mehr als kompensieren. Überdies werden die USA, wenn Barack Obama Wort hält, demnächst ein globales Wettrennen um umweltfreundliche Technologien anheizen – Deutschland könnte dabei aus der Poleposition starten.

Natürlich ist nicht garantiert, dass dieser Plan aufgeht. Doch gibt es derzeit keine Alternative. Angesichts der Krise ist Nichtstun jedenfalls keine Option – deshalb bitte keine faulen Ausreden mehr.

Der Autor ist Institutsdirektor und Professor für Medizinische

Mikrobiologie in Halle. Foto: J. Peyer

Alexander S. Kekulé

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