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Was Wissen schafft: Eine unsichere Bank

Es geht um Stammzellen und die Möglichkeiten, die Gentechnik bei ihnen in Zukunft bieten könnte: Nabelschnurblut kann Leben retten - aber oft nicht das eigene.

Milchzähne scheinen irrsinnig wertvoll zu sein. Sobald sie zu wackeln beginnen, laufen Eltern wie besessen hinter ihren Sprösslingen her, um ja keines der kostbaren Stücke zu verlieren. Schon so mancher glitschige Zwergenhauer wurde in abenteuerlichen Aktionen aus Bergen von Kartoffelbrei gerettet, damit keiner der weißen Diamanten im Silberdöschen fehlt. Nur schade, dass sich die groß gewordenen Kleinen meist kaum für die eigenen Memorabilien interessieren.

Möglicherweise ist der elterliche Sammlerinstinkt jedoch gar nicht so falsch? Der US-Firma „Bio Eden“ ist jeder ausgefallene Breibeißer schlappe 1280 Euro Wert – allerdings nicht für die Eltern: So viel kostet es, wenn Bio Eden aus der Zahnwurzel adulte Stammzellen herausholt. Dafür macht Bio Eden paradiesische Heilsversprechungen, von kindlichem Diabetes bis Querschnittslähmung, „vielleicht“.

Seit die öffentliche Diskussion um die Wunderwirkung von Stammzellen Konjunktur hat, poppen die Tiefkühlangebote wie Unkraut auf den Internetseiten hervor. Weggefroren wird alles, was adulte Stammzellen enthält: Blut, Nabelschnurblut, abgesaugtes Fett, Milchzähne und sogar Menstrualblut. In den USA können auch embryonale Stammzellen auf Privatrechnung konserviert werden, falls bei einer Retortenbefruchtung Embryonen übrig geblieben sind.

Um es kurz zu machen: Nahezu keine dieser privaten Genbanken ist ihr Geld Wert. Für die eingelagerten adulten Stammzellen existieren weder therapeutische Anwendungen noch sind diese – selbst mit viel Fantasie – jemals zu erwarten. Mit zwei Ausnahmen: Stammzellen aus Blut und Nabelschnurblut.

Periphere Blut-Stammzellen (PBSC) werden seit langem erfolgreich in der Krebstherapie eingesetzt, um das nach Bestrahlung oder Chemotherapie zerstörte Knochenmark wieder aufzubauen. Die PBSC stammen meist von einem passenden Spender, der allerdings monatelang gesucht werden muss. Bei jedem Fünften ist die Suche erfolglos. Am besten sind eigene Stammzellen; diese müssen aber rechtzeitig vor der Krebsbehandlung entnommen werden, was nur selten gelingt. Deshalb liegt es prinzipiell nahe, eigene PBSC „auf Verdacht“ einzufrieren, damit sie im Falle einer Krebserkrankung zur Verfügung stehen. Das ist aber unverhältnismäßig aufwendig und teuer (ca. 9000 Euro).

Vergleichsweise gute Argumente gibt es für das private Einfrieren von Nabelschnurblut (NSB). Dessen adulte Stammzellen sind besonders zahlreich und anpassungsfähig. Deshalb ist NSB auch für Kranke (etwa Verwandte) geeignet, deren Gewebetyp nicht exakt übereinstimmt. Nach der Geburt gibt die mit der Plazenta verbundene Nabelschnur rund 80 Milliliter NSB her, das innerhalb von 48 Stunden tiefgefroren werden muss. Diese kleine Menge kann – in sehr seltenen Fällen – bei kindlichen Leukämien und Blutbildungsstörungen lebensrettend sein. Künftig ist allerdings zu erwarten, dass sich NSB-Stammzellen im Labor vermehren lassen, so dass weitere Anwendungen im Erwachsenenalter möglich werden. Darüber hinaus dürften die relativ jungen NSB-Stammzellen noch am ehesten für die in ferner Zukunft erhofften Therapien mit Ersatzgewebe geeignet sein.

Die Spende an öffentliche NSB-Banken ist kostenlos und kann mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit andere Leben retten – allerdings steht das Blut dann dem Spender nicht mehr zur Verfügung. Private Firmen lassen sich den persönlichen Tiefkühlservice teuer bezahlen: Rund 2500 Euro für 20 Jahre. Wenn Kinder wirklich einmal Stammzellen brauchen, wird in Deutschland meist ein geeigneter Spender gefunden. Bis sie erwachsen sind, stehen hoffentlich andere Therapien zur Verfügung. Das Geld ist also höchstwahrscheinlich zum Fenster hinausgeworfen – ganz sicher ist das jedoch nicht.

Für wenige Menschen mit seltenen Erkrankungen könnten eigene NSB-Stammzellen wertvoll wie Diamanten werden. Doch die meisten groß gewordenen Kleinen werden sich dafür noch weniger interessieren als für ihre Milchzähne.

Der Autor ist Institutsdirektor und Professor für Medizinische Mikrobiologie in Halle.

Alexander S. Kekulé

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