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Was WISSEN schafft: Jagdsaison für Grippeviren

Während das Grippevirus auf Menschenjagd geht, jagen Wissenschaftler dem Virus hinterher. Das Rennen können sie jedoch kaum gewinnen - die Erreger werden immer wieder resistent.

Für Virologen ist dieser Winter so spannend wie kein anderer zuvor. Während die im Makrokosmos beheimateten Normalbürger fröhlich Ski fahren und Glühwein trinken, beobachten die Virusforscher gespannt, was bei den sozialen Aktivitäten im Mikrokosmos so alles passiert: Seit drei Wochen ist Jagdsaison für Influenzaviren. Kalte Luft trocknet die Atemwege aus und konserviert die Krankheitserreger, zwischendurch drängen sich die Menschen in schlecht belüfteten Räumen zusammen. Die Zahl der Grippeerkrankungen steigt deshalb um diese Jahreszeit rapide an.

Während das Virus auf Menschenjagd geht, jagen Wissenschaftler dem Virus hinterher. Das Robert-Koch-Institut analysiert pro Saison mehr als tausend Virusproben aus ganz Deutschland, die Daten aus aller Welt laufen bei der WHO in Genf zusammen. Die Weltgesundheitsorganisation legt dann jeweils im Februar fest, welche Zusammensetzung der Grippeimpfstoff für die nächste Wintersaison haben wird: Zwei Komponenten gegen Influenza-A und eine gegen Influenza-B. Der lange Vorlauf ist notwendig, weil die Produktion der rund 250 Millionen für die nördliche Hemisphäre benötigten Impfdosen gut sechs Monate dauert.

Trotz des gigantischen Aufwandes läuft in letzter Zeit nicht immer alles nach Plan. Im vergangenen Winter ist die Menschheit, wie sich erst kürzlich herausstellte, nur mit Glück an einer Katastrophe vorbeigeschlittert: Im Winter 2007/2008 trafen zwei unglückliche Ereignisse zusammen. Erstens passten die drei Bestandteile des Grippeimpfstoffes nicht zu den zirkulierenden Viren - bei zwei Komponenten hatte sich die WHO (leider nicht zum ersten Mal) in ihrer Vorhersage geirrt, die dritte verlor im Laufe der Grippesaison ihre Wirksamkeit. Gegen den weltweit vorherrschenden Influenzatyp "H1N1" schützte die Impfung deshalb nur zu 50 Prozent. Zweitens breiteten sich Ende des vergangenen Winters erstmalig auch Influenza-A-Viren (ebenfalls vom Typ H1N1) aus, die gegen das Medikament Tamiflu resistent sind: Plötzlich waren zwei Waffen teilweise ausgefallen, das wichtigste antivirale Medikament und der Impfstoff. Bei einer normalen Grippewelle hätte das weltweit hunderttausende zusätzliche Todesopfer bedeutet. Zufälligerweise gab es jedoch in der letzten Grippesaison (hauptsächlich aus klimatischen Gründen) ungewöhnlich wenige Erkrankungen, in Deutschland waren es halb so viele wie im Mittelwert.

Wie  die Resistenz entstehen konnte ist rätselhaft

Deshalb beobachten die Virologen mit Hochspannung die gerade beginnende Grippezeit. Sie hoffen auf ein Funktionieren der mit viel Aufwand beworbenen Impfung, deren Komponenten die WHO komplett ausgetauscht hat. Die zweite Hoffnung der Fachleute, dass das Auftreten tamifluresistenter Viren nur ein vorübergehender Spuk war, wurde jedoch bereits jetzt gründlich zerschlagen: Wie aktuelle Daten zeigen, ist bei dem in den USA häufigsten Virustyp H1N1 die Resistenzquote von zehn im Vorjahr auf nahezu 100 Prozent gestiegen - einen derart dramatischen Anstieg resistenter Erreger hat es noch nie gegeben, weder bei Viren noch bei Bakterien.

Wie das geschehen konnte, ist rätselhaft. Im Gegensatz zur üblichen Resistenzbildung traten die gegen Tamiflu unempfindlichen Virusstämme nämlich zuerst in Ländern auf, in denen Tamiflu so gut wie gar nicht verwendet wird. Offenbar entstand die für die Resistenz verantwortliche genetische Abweichung rein zufällig gemeinsam mit einer zweiten Mutation, die eine effizientere Vermehrung des H1N1-Virus bewirkt. Da die Tamifluresistenz zusammen mit einem unbekannten Selektionsvorteil vererbt wird, konnten sich die so optimierten Viren in kürzester Zeit weltweit durchsetzen. Es ist deshalb nicht auszuschließen, dass sie auch häufiger zu schweren Erkrankungen führen.

Deutschland hat bisher Glück gehabt. In Mitteleuropa herrscht momentan der Virustyp H3N2 vor, der nicht gegen Tamiflu resistent ist. Trotzdem ist es höchste Zeit, sich für das Auftreten resistenter Influenzaviren vorzubereiten. Andere Medikamente, insbesondere das Tamiflu-Konkurrenzprodukt Relenza, sind glücklicherweise noch wirksam. Auch die Beschaffung von "präpandemischem Impfstoff", der im Falle einer Pandemie erhebliche Opferzahlen vermeiden könnte, wird seit Jahren von Experten gefordert. Frankreich und andere EU-Staaten haben diesen Notimpfstoff bereits bestellt - Deutschland denkt nur darüber nach. Währenddessen geht die Jagd im Mikrokosmos weiter.

Der Autor ist Institutsdirektor und Professor für Medizinische Mikrobiologie in Halle.

Alexander S. Kekulé

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