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Meinung: Was Wissen Schafft: Kosmische Haaresbreite

Es geschah am frühen Morgen, kurz nach Sonnenaufgang. Augenzeugen beobachteten einen grellen Lichtblitz am Horizont, dann gab es eine gewaltige Detonation von der Stärke mehrerer hundert Hiroshima-Bomben: Ein riesiger Meteorit war mit über fünffacher Schallgeschwindigkeit in die Atmosphäre eingedrungen und in etwa 8,5 Kilometern Höhe explodiert.

Es geschah am frühen Morgen, kurz nach Sonnenaufgang. Augenzeugen beobachteten einen grellen Lichtblitz am Horizont, dann gab es eine gewaltige Detonation von der Stärke mehrerer hundert Hiroshima-Bomben: Ein riesiger Meteorit war mit über fünffacher Schallgeschwindigkeit in die Atmosphäre eingedrungen und in etwa 8,5 Kilometern Höhe explodiert. Die Detonation machte 2150 Quadratkilometer Wald - die zweieinhalbfache Fläche Berlins - dem Erdboden gleich, die Schockwelle raste zweimal um den Globus.

Die apokalyptische Szene, die wie ein Ausschnitt aus dem Hollywood-Schocker "Deep Impact" anmutet, ist keine Fiktion: Die gigantische Meteoriten-Explosion ereignete sich am 30. Juni 1908, glücklicherweise in der kaum besiedelten Tunguska-Region Zentralsibiriens. Vergangenen Montag, am 7. Januar 2002, entging die Menschheit nur knapp einer schlimmeren Katastrophe: Um 7 Uhr 57 mitteleuropäischer Zeit verfehlte der Asteroid "2001 YB5" die Erde um nur 830 000 Kilometer, etwa der doppelten Entfernung des Mondes - in kosmischen Maßstäben eine winzige Haaresbreite. Bei einem Einschlag auf dem Festland hätte der etwa 300 Meter große Gesteinsbrocken einen Zerstörungsradius von 800 Kilometern hinterlassen - genug, um ein kleineres Land zu vernichten. Bei einem Sturz ins Meer hätte die gewaltige Flutwelle immerhin noch eine verheerende Wirkung auf küstennahe Regionen gehabt.

Mit seinem Vorbeiflug im Abstand von 0,0056 Astronomischen Einheiten (AE) lag der Asteroid weit unterhalb der Warnschwelle für "close encounters" von 0,2 AE (eine AE ist die mittlere Entfernung zwischen Erde und Sonne). Trotzdem blieb die in der Vergangenheit durch Asteroiden auf Beinahe-Kollisionskurs ausgelöste, weltweite Panikstimmung diesmal aus. Der Grund hierfür ist das eigentlich Besorgnis erregende: 2001 YB5 wurde erst am 27. Dezember entdeckt - gegen einen Asteroiden auf Kollisionskurs wäre bei einer Vorwarnzeit von knapp 11 Tagen absolut nichts auszurichten gewesen. Im Gegensatz dazu wurden die anderen "potenziell gefährlichen Asteroiden", die in den letzten Jahren die Weltuntergangs-Stimmung anheizten, vergleichsweise frühzeitig entdeckt: Der 1999 gesichtete "1999 AN10" wird erst im Jahre 2027 haarscharf an der Erde vorbeifliegen, der im vergangenen Jahr entdeckte "2000 BF19" wird für diesen Juli erwartet.

Der wichtigste Grund für das Versagen des Frühwarnsystems bei 2001 YB5 ist seine ungünstige Größe. Nach gegenwärtiger Auffassung würde ein Meteorit mit mehr als einem Kilometer Durchmesser eine globale Katastrophe auslösen - wie der gewaltige Einschlag in Mexiko, der vor 65 Millionen Jahren zum Aussterben der Dinosaurier führte. Diese Riesenbrocken, deren Zahl in Erdnähe kürzlich auf 1200 geschätzt wurde, lassen sich vergleichsweise leicht verfolgen. Die Wahrscheinlichkeit, dass einer von ihnen in den kommenden 100 Jahren die Erde trifft, ist aber verschwindend gering.

Im Gegensatz dazu wurde die Gefahr durch mittlere Asteroiden von einigen hundert Metern Durchmesser bisher unterschätzt: Sie gehen der Weltraum-Überwachung NEAT (Near Earth Asteroid Tracking) durch die Lappen. Eine vergangenen November veröffentlichte Studie ergab, dass im zwischen den Bahnen von Mars und Jupiter gelegenen "Asteroidengürtel" durch Kollisionen ständig mittelgroße Gesteinstrümmer neu entstehen, die unvermittelt in Richtung Erde geschleudert werden können. Ein Frühwarnsystem könnte Asteroiden und aus den äußeren Regionen des Sonnensystems heranfliegende Kometen rechtzeitig genug erkennen, um sie - zumindest theoretisch - durch Abwehrraketen vom Kollisionskurs abzulenken. Wäre solch ein Projekt nicht allemal sinnvoller, als ein "Star-Wars"-Programm gegen irdische Widersacher?

Alexander S. Kekulé

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