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Was WISSEN schafft: Kugelförmige Killer

Im Wettlauf mit Impfstoffen haben Bakterien die Nase vorn. In den USA haben sich durch eine Impfkampagne gegen Lungenentzündung auslösende Pneumokokken besonders gefährliche Varianten des Erregers ausgebreitet.

Auch im Zeitalter der Antibiotika sind Bakterien lebensgefährlich – am Montag erlag Guillaume Depardieu mit nur 37 Jahren den Folgen einer Lungenentzündung. Der Sohn des berühmten Gérard Depardieu, selbst erfolgreicher Schauspieler, hatte sich bei Dreharbeiten in Rumänien infiziert und wurde sofort in ein Krankenhaus bei Paris geflogen. Doch auch mit moderner Medizin war dem jungen Mann nicht mehr zu helfen.

Die Lungenentzündung (Pneumonie) gehört weltweit zu den häufigsten Infektionskrankheiten, allein in Deutschland sterben pro Jahr rund 20 000 Menschen daran. Auslöser sind zu 90 Prozent Bakterien, allen voran die gefürchteten Pneumokokken. Insbesondere bei Kleinkindern, Immungeschwächten und alten Menschen können Pneumokokkeninfektionen lebensgefährlich sein. Außer Pneumonie verursachen die kugelförmigen Killer – in seltenen Fällen – auch Hirnhautentzündung und Blutvergiftung.

Als vor acht Jahren ein Impfstoff auf den Markt kam, wurde er von der Fachwelt wie eine Erlösung gefeiert. Nach Einführung der Pneumokokkenimpfung in den USA halbierte sich zunächst die Zahl der schweren Erkrankungen durch diese Erreger. Seit Juli 2006 wird die Impfung auch in Deutschland für alle Kinder ab dem zweiten Lebensmonat empfohlen.

Doch nun trübt eine beunruhigende Beobachtung die Euphorie: Neuesten Studien zufolge hat die Impfkampagne in den USA dazu geführt, dass sich besonders gefährliche Varianten des Erregers rapide ausbreiten. Insbesondere der „Serotyp 19A“ ist auf dem Vormarsch: Diese außergewöhnlich aggressive Variante der Pneumokokken, die obendrein häufig gegen die üblichen Antibiotika resistent ist, galt vor Einführung der Impfung als Rarität. Heute ist Serotyp 19A in Regionen mit hoher Impfrate sogar der häufigste Auslöser lebensbedrohlicher Pneumokokkeninfektionen.

Damit ist eingetreten, was Kritiker schon länger vorhersagten. Pneumokokken existieren in über 90 bekannten Varianten, theoretisch können jederzeit weitere entstehen. Der Impfstoff schützt jedoch nur gegen sieben Serotypen, die bei dessen Einführung in den USA besonders häufig waren. Infolge der Impfkampagne setzen sich jetzt neue Pneumokokkentypen durch, die teilweise gefährlicher sind als die bisherigen.

Hinzu kommt, dass Pneumokokken in den allermeisten Fällen nur relativ harmlose oder gar keine Erkrankungen hervorrufen. Gegen unkomplizierte Mittelohr- und Nebenhöhlenentzündungen, die bei weitem häufigsten Pneumokokkenerkrankungen, wirkt die Impfung nur sehr begrenzt. Bei bis zu 50 Prozent der ungeimpften Kinder leben Pneumokokken sogar ohne jegliche Symptome im Nasen- und Rachenraum. Weil sich unterschiedliche Bakterien gegenseitig verdrängen, schützt diese harmlose „Kolonisierung“ der Schleimhäute wahrscheinlich vor anderen, gefährlichen Bakterien.

Schließlich deckt der einst für die USA entwickelte Impfstoff die in Europa zirkulierenden Serotypen nur teilweise ab – in einigen Studien lag der Anteil der Varianten, gegen die eine Schutzwirkung zu erwarten ist, nur bei 20 Prozent. Die seltenen schweren, „invasiven“ Pneumokokkeninfektionen bei Säuglingen haben immerhin auch in Deutschland seit Einführung der Impfung abgenommen. Damit sich hierzulande Serotyp 19A und andere aus den USA bekannte gefährliche Varianten nicht ausbreiten, muss der Impfstoff dringend verbessert werden. Hersteller Wyeth arbeitet derzeit an einer Weiterentwicklung, die gegen sechs zusätzliche Varianten schützt, darunter ist auch der gefürchtete Serotyp 19A. Mal sehen, was sich die Bakterien als Nächstes einfallen lassen.

Der Autor ist Institutsdirektor und Professor für Medizinische Mikrobiologie in Halle. Foto: J. Peyer

Alexander S. Kekulé

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