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Was WISSEN schafft: Sauberkeit ist keine deutsche Tugend

Das Novovirus stellt sich gegen die allseits bekannte Erkältung. Es befällt nicht die von kalter Luft geschwächten Atemwege, sondern die warme Schleimhaut des Dünndarms. Infektionen kann man vermeiden: durch Händewaschen.

Januar ist der Monat der Viren. Die Arztpraxen sind überfüllt mit ihren hustenden und schnupfenden Opfern. In Bahnen und Bussen wabert feuchtwarme Luft, getränkt mit fiesen Erkältungserregern. Auch die gefürchtete Influenza beginnt ihren alljährlichen Beutezug, der pro Winter rund vier Millionen Deutsche ans Bett fesselt. Zu keiner anderen Jahreszeit können sich so viele Viren so ungehemmt vermehren und verbreiten wie jetzt. Wenn es bei Viren Männchen und Weibchen gäbe, wäre der Januar ihre Brunftzeit.

Jedoch sind die winzigen, nicht einmal im Mikroskop sichtbaren Krankheitserreger geschlechts- und leblos wie Staubpartikel, und biologische Triebe haben sie schon gar nicht. Warum fällt der Virenschwarm dann jedes Jahr zur selben Zeit, pünktlich wie die Zugvögel, über uns her?

Erstaunlicherweise gibt es dafür keine befriedigende Antwort. Älteren Erklärungen zufolge sollte das winterliche Zusammenhocken in engen, schlecht belüfteten Räumen die Ursache der Infektionswellen sein. Doch die Menschen hierzulande pferchen sich bei Minusgraden schon lange nicht mehr um den einzigen beheizten Kamin in der Wohnstube. Einige Wissenschaftler vermuten deshalb, die durch die Kälte verlängerte Haltbarkeit der Erreger sei für die jahreszeitlichen Schwankungen verantwortlich. Allerdings müssten „Erkältungen“ dann in sehr kalten Ländern Dauersaison haben, was – trotz des im Wort enthaltenen Vorurteils – natürlich nicht der Fall ist. Auch die populäre Theorie, Kälte und Nässe würden generell das Immunsystem schwächen, ist zu einfach: Warum hätten im Winter dann hauptsächlich Erkältungs- und Grippeviren einen Vorteil, nicht aber andere Viren, wie Hepatitis- und Aidserreger?

Neueren Studien zufolge könnte das an der bei Kälte verringerten Durchblutung der Schleimhäute in den Atemwegen liegen. Weil dadurch weniger Immunzellen und Antikörper vor Ort sind, können Erkältungs- und Influenzaviren leichter eindringen.

Doch kaum scheint damit das uralte Phänomen der „Erkältung“ geklärt, zerstört ein neuer Übeltäter die schöne Theorie: Das derzeit grassierende Norovirus bereitet Wissenschaftlern und Patienten gleichermaßen Bauchgrimmen. Es befällt nicht die von kalter Luft geschwächten Atemwege, sondern die allzeit warme Schleimhaut des Dünndarms – und trotzdem nehmen die Infektionen in den Wintermonaten epidemieartig zu. Rund 11.000 Fälle werden derzeit pro Woche gemeldet, die Dunkelziffer dürfte bis zehnmal so hoch sein.

Wenn das Norovirus zuschlägt, bricht das große Kotzen aus – meistens werden nach Art des Schneeballeffekts gleich einige hundert Menschen angesteckt. Die typische „Darmgrippe“ kündigt sich bereits am Tag nach der Infektion mit Krankheitsgefühl und Übelkeit an. Kurz darauf kommt der Durchfall, die Hälfte der Erkrankten muss zusätzlich erbrechen. Nach zwei Tagen ist alles vorbei – zum Glück, denn gegen Noroviren gibt es keine Medikamente und keinen Impfstoff. Allerdings schützt die durchgemachte Erkrankung nicht vor erneuter Infektion, weil von der Gattung „Norovirus“ Hunderte verschiedener Arten und Unterarten existieren.

Gegen den epidemischen Brechdurchfall gibt es deshalb nur ein wirksames Mittel: Sauberkeit. Das scheint jedoch keine deutsche Tugend zu sein – die gemeldeten Norovirus-Infektionen verdoppelten sich im letzten Jahr, für diesen Winter wird eine weitere Zunahme erwartet. Der Erreger ist nur in Stuhl und Erbrochenem enthalten, er wird durch die Hände sowie über verschmutzte Gegenstände und Nahrungsmittel weitergegeben. Dabei muss er schließlich in den Mund des neuen Opfers gelangen. Dieser „fäkal-orale“ Übertragungsweg kann durch Händewaschen nach dem Toilettengang (und Schutz vor Erbrochenem) effizient verhindert werden.

Dass dies in Kindergärten und Schulen nicht immer funktioniert, mag ja noch angehen. Ausbrüche in Hotels, auf Kreuzfahrtschiffen und in Krankenhäusern zeugen jedoch von mangelnder Hygiene bei Erwachsenen und sogar beim medizinischen Personal.

Wer nicht vorhat, seine Frühjahrsdiät mit einem Norovirus- Schnellstart zu beginnen, sollte dieser Tage auf peinliche Hygiene achten. Januar ist ja auch der Monat der guten Vorsätze.

Der Autor ist Institutsdirektor und Professor für Medizinische Mikrobiologie in Halle. Foto: J. Peyer

Alexander S. Kekulé

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