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Was WISSEN schafft: Schniefen und schniefen lassen

Alle Jahre wieder: Gegen Erkältungen ist kein Kraut gewachsen.

Es ist zum Verzweifeln. Zum Kotzen. Und zum Rotzen. Der Mensch ist auf den Mond geflogen, hat die Pocken ausgerottet und kann Atomkerne spalten – doch gegen die gemeine Erkältung ist er immer noch machtlos. Jedes Jahr um diese Zeit im Herbst, wenn es nasskalt und ungemütlich wird, schlägt die Stunde der Erkältungsviren: Vier von fünf Deutschen laufen mindestens einmal im Jahr mit Triefnase und Taschentüchern herum. Als Verursacher von Arbeitsausfällen liegen Erkältungskrankheiten – einschließlich der echten Grippe – auf Platz eins. Statistisch verbringt jeder Bundesbürger drei volle Jahre seines Lebens mit Schniefen und Husten.

Die Tücke der Erkältungsviren liegt in ihrer Vielfalt. Rund 200 verschiedene Viren können die bei Erkältungen vorkommenden Symptome Schnupfen, Husten und Fieber hervorrufen. Die meisten dieser Erreger verändern sich obendrein ständig, so dass auch noch so viele durchstandene Erkrankungen nicht vor der nächsten Rotznase schützen. Immerhin nimmt die Häufigkeit viraler Atemwegserkrankungen von der Kindheit zum Erwachsenenalter ab, weil das Immunsystem lernt, sich gegen einen Teil der Viren zu wehren.

Eine Impfung gibt es nur gegen die echte Grippe („Influenza“). Im Gegensatz zur gewöhnlichen Erkältung („grippaler Infekt“) verläuft die Influenza meist wesentlich schwerer und bereitet den Boden für gefährliche Bakterien, die Lungenentzündungen verursachen können. Wer über sechzig Jahre alt ist, an einer chronischen Krankheit leidet oder häufig mit kranken Menschen zusammenkommt, sollte sich deshalb gegen Grippe impfen lassen. Die Influenza ist zwar eine schwere (und selten tödliche) Erkrankung, im Vergleich zur banalen Erkältung ist sie jedoch glücklicherweise eher selten.

Gegen den bei weitem größten Teil der Erkältungsviren gibt es keinen Impfstoff – und auch keine wirksamen Medikamente: Keines der vielen, teils massenhaft verkauften „Erkältungsmittel“ hat je seine Heilwirkung bewiesen. Den jahrelang nicht totzukriegenden Mythos um die angebliche Schutzwirkung von Vitamin C hat ein Großaufgebot an neueren Studien beerdigt. Auch der Apotheken- Bestseller Echinacin hat, trotz hunderter veröffentlichter Studien, seine Wirksamkeit bis heute nicht bewiesen.

Der neueste Verkaufsschlager gegen Erkältung sind Joghurtdrinks mit „probiotischen“ Bakterien. Theoretisch könnte eine Verbesserung der Darmflora irgendwie das Immunsystem stärken, zumindest bei Menschen mit Stress und ungesunder Ernährung. Ob das auch praktisch funktioniert, ist jedoch nicht geklärt. In einer vielzitierten Studie der Kieler Bundesforschungsanstalt für Ernährung und Lebensmittel nahm die Häufigkeit von Erkältungen durch probiotische Bakterien nicht ab, sondern sogar ein wenig zu; Dauer und Schwere der Symptome wurden jedoch, nach Meinung der Autoren der Studie, geringfügig positiv beeinflusst. Das widersprüchliche Ergebnis konnte bisher nicht durch unabhängige Studien bestätigt werden, seine Übertragbarkeit auf die von der Werbung propagierten Joghurtgetränke ist äußerst fraglich. Den Herstellern in aller Welt dient die Untersuchung der deutschen Bundesbehörde dennoch als willkommenes Verkaufsargument.

Was bleibt, sind die uralten Ratschläge zur Prävention: Ausreichend Schlaf und Bewegung im Freien sowie das Vermeiden von Stress, trockener Luft, Kälte und Kontakt zu Kranken. Wenn die Erkältung dennoch zuschlägt, erleichtern Inhalationen und Salzwassernasensprays zumindest das Einschlafen. Mehreren neuen Studien zufolge hat übrigens auch Hühnersuppe Heilungskräfte gegen Erkältung. Das bewährte Hausmittel lässt sich allerdings weder patentieren noch gewinnbringend vermarkten – daran glauben darf man aber trotzdem.

Der Autor ist Institutsdirektor und Professor für Medizinische Mikrobiologie in Halle. Foto: J. Peyer

Alexander S. Kekulé

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