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Meinung: Was Wissen schafft: Vernebelte Zukunft

Zweieinhalb Jahre hat die Republik über die Stammzellforschung diskutiert, von der provokativen Menschenzüchter-Rede des Philosophen Sloterdijk bis zum zähneknirschenden Import-Votum des Nationalen Ethikrates. Ein Bundespräsident warnte eindringlich vor dem Überschreiten des Rubikon.

Zweieinhalb Jahre hat die Republik über die Stammzellforschung diskutiert, von der provokativen Menschenzüchter-Rede des Philosophen Sloterdijk bis zum zähneknirschenden Import-Votum des Nationalen Ethikrates. Ein Bundespräsident warnte eindringlich vor dem Überschreiten des Rubikon. Ein Kulturstaatsminister sprach Embryonen die Menschenwürde ab. Ein Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft änderte gleich zweimal seine Position zum Thema Klonen. Am kommenden Mittwoch soll nun der Bundestag entscheiden, was des Menschen würdig ist und was nicht.

Auf dem Tisch liegt ein Vorschlag, der ziemlich faul nach Kompromiss riecht: Während die Herstellung von embryonalen Stammzellen verboten bleibt, soll ihr Import zu Forschungszwecken ausdrücklich gebilligt werden. Mit einer wesentlichen Einschränkung: Die Forscher müssen sich auf heute bereits existierende etwa 70 Stammzelllinien beschränken. Natürlich wurden auch für deren Herstellung menschliche Embryos getötet. Ist ihre Verwendung also ethisch unbedenklich, nur weil sie an einem willkürlichen Stichtag "sowieso schon tot" waren? Mit der gleichen Logik könnte man ohne Einverständnis entnommene Organe unter der Bedingung zur Transplantation zulassen, dass sie aus dem Ausland stammen und der Spender bereits verstorben ist.

Die Befürworter der Stammzellforschung wollen durch den Import-Kompromiss die Tür für die deutsche Forschung einen Spalt weit offen halten. Tatsächlich wäre Deutschland ohne diese Forschung von einem der vielversprechendsten Gebiete der Medizin des 21. Jahrhunderts abgeschnitten. Aus embryonalen Stammzellen werden sich voraussichtlich eines Tages Ersatzgewebe züchten lassen, mit denen etwa Querschnittgelähmte, Diabetiker oder Parkinsonkranke geheilt werden könnten. Die ethisch unproblematischen adulten Stammzellen sind aus technischen Gründen derzeit keine Alternative.

Allerdings ist mit den heute existierenden embryonalen Stammzellinien kaum einer der vorderen Plätze im Wettlauf um die neue Technik zu machen: Viele der älteren Stammzellen kommen für eine Anwendung am Menschen gar nicht in Frage, da sie mit tierischen Produkten verunreinigt sind. Darüber hinaus häufen Stammzellen im Laufe der Zeit schädliche Mutationen an und büßen ihre Fähigkeit zur Umwandlung in andere Gewebe ein. Spitzenforschung mit den Stammzellen der ersten Generation zu betreiben wird deshalb bald unmöglich sein. Gerade weil embryonale Stammzellen so wichtig für schwerkranke Patienten werden dürften, muss ihre Herstellung und Anwendung durch einen breiten gesellschaftlichen Konsens legitimiert werden - oder eben ganz verboten werden, wenn es einen triftigem Grund dafür gibt. Dieser Grund wäre dann gegeben, wenn es tatsächlich das Empfinden der Deutschen ist, dass wenige Tage alte Embryos im Reagenzglas Menschenwürde besitzen - denn die Menschenwürde ist unteilbar. Dann allerdings wäre die Frage zu stellen, warum sich niemand darüber erregt, dass bei künstlichen Befruchtungen hunderttausende überschüssiger Embryos im Laborabfall landen. Möglicherweise ist die Antwort die, dass für die Mehrheit der Deutschen ein punktgroßer Embryo ohne menschliche Zukunft eben doch nur ein Zellhaufen im Labor ist. Wenn die Menschenwürde aber nicht am genetischen Material, sondern am Potenzial zur Menschwerdung hängt, kann der Bundestag auch die Herstellung von embryonalen Stammzellen guten Gewissens erlauben.

Alexander S. Kekulé

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