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Meinung: Wehrmachtsausstellung: Die Wahrheit steht für sich

Ja, es ist Krieg, und wir begehren - so klagen wir mit dem Gedicht des alten Matthias Claudius - nicht schuld daran zu sein. Aber dabei sind wir doch.

Ja, es ist Krieg, und wir begehren - so klagen wir mit dem Gedicht des alten Matthias Claudius - nicht schuld daran zu sein. Aber dabei sind wir doch. Wieder dabei? Der Blick auf die Wehrmachtsausstellung, die gestern in Berlin eröffnet wurde, wird sich von den Bildern nicht lösen können, die uns aus Afghanistan erreichen. Aber es ist eben nicht nur das Gesicht des Krieges, das uns in ihr vorgeführt wird. Es ist ein Kapitel unserer Vergangenheit, bei dem das Bitten nicht hilft, es möge nicht unsere Sache gewesen sein. Deshalb schlug die Ausstellung vor sechs Jahren in der Bundesrepublik ein wie eine Bombe. Sie ließ die Wogen hoch schlagen, polarisierte, bis sie wegen historischer Mängel geschlossen wurde. Diese Geschichts-Ausstellung hat selbst schon Geschichte: Es ist eine Lektion über den Nutzen und Nachteil historischer Provokationen.

Damals führte sie einer breiten Öffentlichkeit vor Augen, was bis dahin nur in den Wälzern der Wissenschaft stand: dass der Krieg gegen die Sowjetunion nicht nur ein Eroberungs-, sondern ein Vernichtungkrieg war; dass daraus Grausamkeiten jenseits aller bisherigen Kriegsregeln erwuchsen; dass auch die Wehrmacht in sie verstrickt war. Vor allem letzteres hat die Republik erschüttert - zu Recht, denn der Glaube daran, dass die Wehrmacht im Unterschied zu den SS-Einsatzgruppen "sauber" geblieben sei, war für die Nachkriegs-Bundesrepublik eine der letzten Stützen des Glaubens, dass nicht alles, was Deutschland ausgemacht hatte, dem braunen Wahn zum Opfer gefallen war.

Muss man diesen Glauben so drakonisch exekutieren wie es die Wehrmachtsausstellung tat? Vermutlich muss man es. Aber sie hat auch gezeigt, dass Polarisierung die Aufklärung nicht nur fördert. Es waren ja nicht allein die Unbelehrbaren, die Verstockten, die Rechten, die gegen sie protestierten. Die Ausstellung wurde seinerzeit zwar geschlossen, weil sich herausstellte, dass einige Photos falsch waren. Aber vor allem geriet sie in Misskredit, weil viele Zeitgenossen die Zeit anders erlebt hatten. Sie empfanden den Kampf um die Erinnerung, den die Ausstellung betrieb, als Kampf gegen ihre Erinnerung, gegen ihre Biographien, gegen ihre Generation - ausgetragen mit den Mitteln der Rechthaberei, der Überlegenheit der später Geborenen, des allzu guten Gewissens. Ein Mann wie Helmut Schmidt, Kriegsteilnehmer, über jeden moralischen Zweifel erhaben, drohte auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzung bei einer Debatte, den Raum zu verlassen, weil er seine Redlichkeit in Zweifel gestellt sah. Man könnte auch sagen: Die Ausstellung gab der Erkenntnis keinen Raum, dass es ein richtiges Leben im falschen geben könne. Die Formel kennen wir aus dem Ringen darum, wie dem Leben in der DDR gerecht zu werden ist - das Problem, vor dem die Ausstellung versagte, reicht bis in die Gegenwart.

Eine Ausstellung über Krieg in Zeiten eines neuen Krieges: Analogien hat der Inaugurator der Ausstellung, der Hamburger Sozialforscher Jan-Philipp Reemtsma, abgelehnt. In der Tat könnten sie auch nur als Exkulpierung des historischen Befundes wirken, dem die Wehrmachtsausstellung gewidmet ist. Seine Wahrheit steht für sich. Es ist eine schlimme Wahrheit, aber zu ihr gehören nicht nur die Verbrechen der Wehrmacht, sondern auch die Einsicht, dass es in ihr Anstand gab, Aufopferung, Pflichtbewusstsein und schliesslich auch den Widerstand. Die neue Ausstellung, so die Forscherin, die sie konzipiert hat, soll eine Antwort auf die Debatten über die alte sein. Neue Debatten sind so sicher wie das Amen in der Kirche. Sie werden zeigen, ob sie uns weiterbringen.

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