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Meinung: Wehrpflicht – ein Auslaufmodell?

„Guttenberg will Bundeswehr bis auf 150 000 Soldaten abbauen“ vom 23. Juni Nun werden anscheinend die Weichen gestellt, um die Wehrpflicht durch die Hintertür abzuschaffen.

„Guttenberg will Bundeswehr bis auf 150 000 Soldaten abbauen“ vom 23. Juni

Nun werden anscheinend die Weichen gestellt, um die Wehrpflicht durch die Hintertür abzuschaffen. Schon die erneute Verkürzung der Wehrpflicht auf einen sechsmonatigen Grundwehrdienst ist in meinen Augen nur als ein Schritt in diese Richtung gesehen werden.

Nun möchte Minister Guttenberg sparen und erwägt eine Reduzierung der Truppenstärke um zwei Fünftel – von 250000 auf dann nur noch 150000 Soldaten. Dieser Schritt lässt keinen Zweifel mehr daran aufkommen, dass die Reise hin zu einer Armee von Berufssoldaten geht.

Sollte die Wehrpflicht tatsächlich abgeschafft werden – was ja seit Jahren vor allem von vielen FDP-Politikern gefordert wird – wäre das in meinen Augen ein riesiger Fehler.

Ein Fehler, weil die Wehrpflicht, wenn sie denn erst einmal abgeschafft sein sollte, sich nicht einfach so wieder einführen lässt. Insofern sollten sich die Abgeordneten des Bundestags über die Parteigrenzen hinweg sehr gut überlegen, was sie beschließen

Ein Fehler aber auch, weil man vom Bürger in Uniform dann wohl bald nicht mehr reden können wird, geht mit einer Abschaffung der Wehrpflicht doch die Verwurzelung der Bundeswehr in der Bevölkerung verloren. Heute gibt es in annähernd jeder deutschen Familie jemanden, der in der Bundeswehr gedient hat, sei es der Vater, Onkel, Bruder oder Sohn (vielleicht sogar die Tochter). Das wird sich ändern, wenn die Bundeswehr tatsächlich zu einem reinen Heer von Berufssoldaten wird.

Andreas Wunsch, Berlin-Mariendorf

Sehr geehrter Herr Wunsch,

Sie befürchten, dass die Wehrpflicht abgeschafft werden wird. Ein Aussetzen der Wehrpflicht macht nach Auffassung des Deutschen Bundeswehr-Verbandes keinen Sinn. Das ist Etikettenschwindel. Eine Aussetzung der Wehrpflicht ist die erste Rate zur Abschaffung der Wehrpflicht. Würde sich die sicherheitspolitische Lage in unserem Land ändern, kann der Schalter zur Einsetzung der Wehrpflicht nicht über Nacht umgelegt werden. Außerdem: Bei einer Aussetzung würden Wehrüberwachung, Wehrverwaltung, Liegenschaften und Personal aufrechterhalten – so dass das erwünschte Sparziel nicht erreicht wird. Der deutsche Bundeswehr-Verband ist dagegen, dass die Wehrpflicht ohne Not nach Kassenlage aufgegeben wird. Ein Bundesminister wurde nach der Haushaltsklausur im Kanzleramt mit den Worten zitiert: Für die Kosten von 40 Kilometer Autobahn dürfe nicht ein Eckpfeiler unseres Gemeinwesens mal eben gekippt werden. Die Wehrpflicht gehöre zu den Grundlagen unserer Gesellschaft.

Die Wehrpflicht ist in erster Linie sicherheitspolitisch unverzichtbar. Die wichtigste Aufgabe des Staates bleibt konstant, die Sicherheit seiner Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten und dafür die notwendigen Vorkehrungen zu treffen. Die allgemeine Wehrpflicht ist militärisch sinnvoll, sie garantiert einen permanenten Personalaustausch. Sie ist gesellschaftspolitisch wünschenswert, fördert die gewollte Integration der Soldaten in die Gesellschaft.

Weder durch die Verkürzung von neun auf sechs Monate Wehrpflicht noch durch eine Aussetzung kann der Staat wirklich sparen. Eine neue Struktur der Streitkräfte kann nicht ohne eine erhebliche Anschubfinanzierung geschaffen werden. Nach seriösen Expertenberechnungen würde eine Armee aus Zeit- und Berufssoldaten teurer werden als eine Bundeswehr, die sich aus dem Mix von Zeit- und Berufssoldaten und Wehrpflichtigen aufbaut.

Minister zu Guttenberg will die Frage nach der Zukunft der Wehrpflicht an der Gesamtstruktur der künftigen Streitkräfte ausrichten. Es wäre sinnvoll, erst die Ergebnisse der Strukturkommission abzuwarten und bis dahin von der kurzfristigen Einberufung der W-6-Grundwehrdienstleistenden Abstand zu nehmen. Derzeit sind für die Truppe – vor allem im Heer – noch viele Fragen offen, wie der sechsmonatige Grundwehrdienst organisiert und sinnvoll gestaltet werden soll.

Auch in einer Armee aus Zeit- und Berufssoldaten gilt das Prinzip der inneren Führung, alle Soldaten der Bundeswehr sind Staatsbürger in Uniform. Bei einer Abschaffung der Wehrpflicht würden sich für die Streitkräfte Probleme in der Nachwuchsgewinnung ergeben. Denn sie rekrutieren heute zu 40 Prozent qualifizierten Nachwuchs aus dem Potenzial der Grundwehrdienstleistenden, die aus allen Teilen der Gesellschaft kommen und mit ihren unterschiedlichen Begabungen frischen Wind in die Truppe bringen. In Nachbarländern, die die Wehrpflicht abgeschafft haben, beklagen hohe Militärs, dass sie nicht mehr das qualifizierte Personal bekämen, das sie bräuchten. Die Grundwehrdienstleistenden tragen wesentlich mit dazu bei, dass der verantwortungsbewusste Umgang der Politik mit dem Einsatz der Bundeswehr als international eingesetztes Mittel deutscher Außen- und Sicherheitspolitik gewahrt bleibt.

Mit freundlichen Grüßen

— Oberst Ulrich Kirsch, Bundesvorsitzender des Deutschen Bundeswehr-Verbandes (DBwV)

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