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Weinmarkt: Teutonische Mythen

Die EU will den Weinmarkt reformieren, Franzosen und Deutsche schimpfen.

Die französischen Bauern geben sich gern als Globalisierungsgegner. Hinter dieser Tarnung aber kämpfen sie knüppelhart für ihre eigenen Interessen. Am Dienstag ist in Montpellier ein Sprengsatz explodiert, um eine Winzergenossenschaft einzuschüchtern, die sich den Plänen der EU-Kommissarin Mariann Fischer Boel zur Reform des europäischen Weinmarktes nicht laut genug widersetzt. Schon daraus folgt, dass die Pläne richtig sind.

Es geht, wie stets in solchen Fällen, um Subventionen. Die dänische, in Sachen Weinbau also unbefangene Kommissarin will den Irrsinn abschaffen, dass Italien, Spanien und Frankreich Milliarden Liter minderwertigen Weins produzieren. Er wird zu Alkohol destilliert und verschwindet in Biosprit oder Meister Proper. Das ist unrentabel und geht nur, weil die EU alljährlich 600 Millionen Euro drauflegt. Die Kommissarin will dieses Geld lieber in Stilllegungsprämien, Qualitätssteigerungen und Marketing investieren. Das ist richtig und wird mit jeder Bombe richtiger.

Für die deutschen Winzer ist dieser Teil der Reform kein Problem, denn sie kennen keine nennenswerte Überproduktion. Sie erregen sich, weil die Kommission andere brisante Änderungen vorschlägt – ebenso vernünftige. Denn warum dürfen bislang Rebsorten hier anders als in Übersee nur bei Weinen geschützter Herkunftsbezeichnung auf dem Etikett genannt werden? Und was hat der Verbraucher von Null-Informationen wie „Tafelwein“ oder „Qualitätswein“? Das sind alte Zöpfe, die mit modernen Konsumgewohnheiten nichts zu tun haben. Junge Käufer, die nicht mit dem teutonischen Retro-Mythos von der Wahrheit im Wein aufgewachsen sind, wollen Erzeugerland, Region und Rebsorte wissen. Das bieten ihnen die überseeischen Erzeuger, deshalb sind sie erfolgreich. EU-Winzer im höchsten Preissegment können und sollen mehr tun – aber sie finden ihre anspruchsvollen, informierten Kunden so oder so.

Ein anderes deutsches Lieblingsthema ist die Chaptalisierung, die Zugabe von Rübenzucker, der mitvergoren wird und den Alkoholgehalt des Weins steigert – einst erfunden, um in schlechten Jahren in den nördlichen Klimazonen überhaupt Wein produzieren zu können. Sie soll verboten werden, das ist auch vernünftig. Denn angesichts des Klimawandels kämpfen selbst die Moselwinzer längst gegen zu viel und nicht zu wenig Alkohol; wer den Zucker dennoch braucht, sollte später ernten oder auf Mais oder Raps umsteigen. Deutsche Winzer und Funktionäre, die für die Chaptalisierung und gegen überseeische Herstellungsverfahren wie Säuerung und Holzchips argumentieren, sind Heuchler, nichts weiter.

Der Weg in die Zukunft ist allen Sprengsätzen zum Trotz klar: Legal werden künftig alle Herstellungsverfahren sein, die das Weltweininstitut IOV genehmigt, egal, wo sie üblich sind. Aber: Der Verbraucher hat ein Recht darauf, dass deren Verwendung dann auch so klar wie möglich auf dem Etikett deklariert wird. Vor allem an diesem Thema muss die eifrige Kommissarin noch nacharbeiten.

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