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Tagesspiegel-Kolumnist Helmut Schümann.

© Karikatur: Tagesspiegel

Welterschöpfungstag: Was kümmert mich das Morgen?

Gestern war Welterschöpfungstag. Was das ist? Die Übersetzung des abgedroschenen Spruchs, dass wir die Welt nur von unseren Kindern geliehen haben. Unser Kolumnist Helmut Schümann sorgt sich dennoch.

Nicht einmal der spontanste Sponti wird ernsthaft bestreiten, dass Spontisprüche furchtbar nerven. „Wer sich nicht bewegt, spürt seine Fesseln nicht“ hat einen Erkenntniswert von „Regen im Mai, April ist vorbei“. Auch ist die Cree-Weisheit vom letzten gerodeten Baum und dem Geld, das man nicht essen kann, weder auf Heckscheiben noch sonst wo zu ertragen. Allein, diese Sprüche sind alle cum grano salis, sie sind im Kern ja stimmig. Aber ihr inflationärer Gebrauch hat erst einmal den Gutmenschen hervorgebracht, und das Wort dann zum Schimpfwort werden lassen. Der Gutmensch sagt zum Beispiel auch, dass wir die Erde nur von unseren Kindern geliehen haben. Gähn! Er fährt Fahrrad statt SUV, trinkt fair gehandelten Kaffee, boykottiert McDonald’s und jetzt auch und mit Recht die Wasserdiebe von Nestlé. Er oder, sorry, sie, die Gutmenschin, kleidet sich nicht beim Discounter ein, isst Fleisch, wenn überhaupt nur von vormals glücklichen Tieren, leistet sich ansonsten den Biomarkt, obwohl er/sie, Achtung: schlechtes Gewissen, das bei Lidl eingesparte Geld der Flüchtlingshilfe spenden könnte.

Aber was ist schlecht daran? Ich für meinen Teil bin gerne Gutmensch, ich bin sogar Narzisst im Gutmenschentum, weil ich mich dann toll finde. Gestern, und das ist kein anderes Thema, war übrigens Welterschöpfungstag.

Den Welterschöpfungstag haben wir einmal im Jahr. Es ist der Tag, an dem die Welt die natürlichen Jahresressourcen, die in diesem Jahr regeneriert werden könnten, aufgebraucht hat. Ab heute leben wir bis zum 31. Dezember im natürlichen Kreislauf auf Pump, auf Leihbasis unserer Kinder. Gähn? Ab heute sind wir die Griechen des ökologischen Gleichgewichts. Jeder Tropfen Wasser, den wir unseren Hähnen entnehmen, wird der Zukunft fehlen, jedes Kilowatt, das aus unseren Steckdosen strömt auch, jeder Bodenschatz, der in unseren Handys steckt. Wir leben von den stillen Reserven der Erde. Übrigens sechs Tage früher als im vergangenen Jahr, als der Welterschöpfungstag erst am 19. August war. Wenn wir in diesem Tempo weitermachen, sind wir irgendwann am Equal Pay Day angelangt, dem Tag, der die Lohnlücke zwischen Frauen und Männern markiert. Und der ist verdammt früh im Jahr. Und „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ ist doch auch nur einer dieser Spontisprüche. Aber nun muss auch mal gut sein für heute. Der Gutmensch ist erschöpft am Welterschöpfungstag. Und überhaupt: Was kümmert ihn das Morgen. Helmut Schümann

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