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Meinung: Wenn der Föderalismus zum Hemmschuh wird

Wir brauchen eine klare Abgrenzung zwischen Bund und Ländern Von Peer Steinbrück

Im Ausland gilt Deutschland als der kranke Mann Europas. In einer gemeinsamen Reihe von Tagesspiegel und DeutschlandRadio Berlin suchen prominente Autorinnen und Autoren nach Wegen aus der Krise. Zu hören sind die Beiträge sonntags um 12 Uhr 10 auf UKW 89,6.

Seit die Mütter und Väter des Grundgesetzes vor nunmehr 55 Jahren die Grundlagen für unsere demokratische und föderale Ordnung gelegt haben, hat sich in den Beziehungen zwischen Bund und Ländern manches verfestigt, was ein optimales Zusammenspiel der unterschiedlichen staatlichen Ebenen verhindert. Der deutsche Föderalismus, so wie er sich uns heute darstellt, ist zu umständlich, er ist zu unflexibel, er ist zu langsam und er ist zu wenig transparent. Deshalb ist die Modernisierung unserer bundesstaatlichen Ordnung eines der großen Reformvorhaben, denen wir uns stellen müssen.

Die staatlichen Ebenen, Bund und Länder, sind heute zu eng miteinander verflochten. Das erschwert die Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik gerade auch in einer erweiterten Europäischen Union. Bund und Länder müssen deshalb wieder mehr eigenen Gestaltungsspielraum bekommen.

Zu diesem Zweck müssen wir vordringlich eine bessere Arbeitsteilung in der Gesetzgebung erreichen. Wir können die Tendenz beobachten, dass der Bund immer mehr Sachfragen durch Bundesgesetz regelt, die eigentlich viel besser von den Ländern geregelt werden könnten. Ein Beispiel dafür ist das Hochschulrahmengesetz. Andererseits bedarf der Bund zu vielen Gesetzen der Zustimmung der Länder. Das führt aber je nach Mehrheitsverhältnissen dazu, dass die Bundestagsmehrheit ihre Vorstellungen oft nicht so wie ursprünglich geplant durchsetzen kann. Vielmehr müssen im Bundesrat Zugeständnisse an die Länder gemacht werden. Deshalb ist im Endeffekt nicht bei jedem Gesetz, auf dem Bundestag draufsteht, politisch auch Bundestag drin.

Die Wirkung dieses Effekts auf die Öffentlichkeit kann fatal sein: Die Zurückhaltung vieler Bürgerinnen und Bürger gegenüber der Politik hat nach meinem Eindruck zu einem Gutteil damit zu tun, dass viel zu oft politische Verantwortlichkeiten nicht mehr klar zugeordnet werden können. Immer wieder erleben wir bei Gesetzgebungsvorhaben, dass das Land, dass der Bund oder dass gar die europäische Ebene zur gleichen Zeit verantwortlich sind. Durch diese Vermischung von Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten wird den Bürgern die Möglichkeit genommen, bei Wahlen – durch Belohnung oder Bestrafung – eine Bilanz über die Entscheidungen der Politik zu treffen.

In einem Dickicht aus verschlungenen und verschränkten Kompetenzen ist verloren gegangen, was ein föderales System ausmachen sollte: Transparenz und Effizienz. Wir brauchen klare Antworten auf die Fragen: Wer ist wofür zuständig? Wer zahlt wofür? Wer trägt wofür die Verantwortung?

Wie könnte eine klarere Abgrenzung der Gesetzgebungskompetenzen zwischen Bund und Ländern erreicht werden? Zum einen, indem wir die Zahl der zustimmungspflichtigen Gesetze reduzieren. Auf diese Weise stärken wir die Handlungsfähigkeit der Bundesgesetzgebung und damit letztlich die Handlungsfähigkeit des Gesamtstaates. Im Gegenzug müsste der Bund bereit sein, den Landesparlamenten wieder mehr politische Gestaltungsmöglichkeiten in Kernangelegenheiten der Länder einzuräumen. Dazu zähle ich vor allem die Personalhoheit über die Landesbediensteten und Fragen der Bildungspolitik. Das sollten die Länder machen, um dann nach dem Prinzip des „best practice“ die beste Lösung unter sich im Wettbewerb zu ermitteln. Für das Hochschulrecht könnte das beispielsweise bedeuten, entsprechende Regelungen mit Ausnahme bestimmter Grundregeln zum Hochschulzugang und der Anerkennung von Hochschulabschlüssen künftig den Landesgesetzgebern zu überlassen. Auch das Dienstrecht und das Besoldungsrecht für die Landesbeamten sollte in der Entscheidungskompetenz der Landesparlamente liegen. Wir benötigen für die anstehende Föderalismusreform eine Grundgesetzänderung und damit eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Das sollte uns aber nicht zu einer Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners verleiten.

Die anstehende Föderalismusreform verlangt mutige Entscheidungen zu durchgreifenden Änderungen, die Blockaden in der Gesetzgebung vermindern und langfristig Bestand haben, damit der Deutsche Föderalismus auch wieder ein „Exportschlager“ werden kann.

Der Autor ist Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen.

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