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Meinung: Wenn die Tiger springen Von Albrecht Meier

W ie viel Macht haben Europaabgeordnete? Immerhin so viel, dass sich Italiens Regierung ernsthaft herausgefordert sieht, seit ein Ausschuss des Europaparlaments den designierten italienischen Justizkommissar Rocco Buttiglione durchfallen ließ.

W ie viel Macht haben Europaabgeordnete? Immerhin so viel, dass sich Italiens Regierung ernsthaft herausgefordert sieht, seit ein Ausschuss des Europaparlaments den designierten italienischen Justizkommissar Rocco Buttiglione durchfallen ließ. Ein gutes Jahr nach dem Eklat beim Auftritt des italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi im Europaparlament wittert dessen Außenminister Franco Frattini ein Komplott der Brüsseler Abgeordneten gegen Rom. Mit der Realität hat Frattinis Verdacht nicht viel zu tun. Nicht auf Rom haben es die Europaabgeordneten abgesehen, sondern auf ihren eigenen Einfluss. Sie sollten dabei aber mit offenen Karten spielen.

Dass es jetzt, bevor das Team von José Manuel Barroso überhaupt im Amt ist, zu einer ersten Machtprobe zwischen dem Parlament und dem künftigen Chef der EUKommission kommt, hängt vor allem mit der europäischen Verfassung zusammen. Sie soll Europa demokratischer und politischer machen. Das Vertragswerk ist zwar weder unterzeichnet, geschweige denn ratifiziert – und doch sind viele Europaparlamentarier offenbar fest entschlossen, der Öffentlichkeit einen Vorgeschmack auf eine demokratischere EU zu liefern.

Hinzu kommt, dass die EU-Kommission bislang über keine direkte demokratische Legitimation verfügt. Ähnlich wie in jedem nationalen Kabinett gibt es in einer Brüsseler Kommission starke und schwache Ressortchefs – nur mit dem Unterschied, dass das Wort „Kabinettsumbildung“ im Brüsseler Vokabular bislang nicht vorkommt. Das Europaparlament tut also gut daran, gleich von Anfang an Barrosos Team auf die Finger zu schauen.

Es ist aber fraglich, ob die Abgeordneten dabei klug vorgehen. Sicher gehört Buttigliones persönliche Meinung, dass Homosexualität eine Sünde sei, eher ins 19. als ins 21. Jahrhundert. Ob er aber später einen guten Justizkommissar abgeben wird – darüber sollte eher seine politische Qualifikation entscheiden. Auch spricht es nicht unbedingt für die Lauterkeit ihrer Motive, wenn linke Abgeordnete versuchen, den Christdemokraten Buttiglione abzusägen, während konservative Abgeordnete ihrerseits – im Fall des designierten Energiekommissars Laszlo Kovacs – das gleiche Spiel betreiben. Es ist kaum zu erwarten, dass der designierte Kommissionschef Barroso Einwänden gegen künftige Kommissare folgt, sofern sie nur aus der Parteitaktik geboren sind.

Wie viel Macht haben Europaabgeordnete? In jedem Fall nicht viel, wenn sie als Tiger springen – und als Bettvorleger landen.

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