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Meinung: Wer die Bombe hat

Der Fall Nordkorea zeigt die Grenzen der neuen US-Strategie in Sachen Massenvernichtungswaffen

Das neue Strategiepapier der US-Regierung enthält zwei zentrale Botschaften. Die erste, vor allem an den Irak gerichtete, droht mit atomaren Gegenschlägen, sollten die USA, ihre Truppen oder Verbündeten mit nichtkonventionellen Waffen angegriffen werden. Die zweite präzisiert die schon im September vorgestellte Strategie der „vorbeugenden Militärschläge“. Wenn ein Schurkenstaat kurz davor steht, sich Massenvernichtungswaffen zu besorgen und diese einzusetzen, werde man sich offene oder verdeckte Militäraktionen vorbehalten.

Die Strategie der Bush-Regierung entspringt der Überzeugung, dass die klassische Politik der Eindämmung von Massenvernichtungswaffen fehlgeschlagen ist. Deren Mittel waren Abschreckung und internationale Verträge. Und so ist es sicher kein Zufall, dass das neue Strategiepapier an dem Tag vorgestellt wurde, an dem ein Frachter mit nordkoreanischen Scud-Raketen im arabischen Meer aufgebracht wurde. Beweist das Verhalten Nordkoreas in den letzten Wochen doch, was die USA behaupten: Manche Schurkenstaaten lassen sich auch mit Hilfe von Verträgen nicht davon abhalten, sich Massenvernichtungswaffen zu beschaffen und diese auch weiterzugeben. Der Eindruck liegt nahe, dass die Amerikaner hier unterschiedliche Maßstäbe anlegen. Während Nordkorea bisher nicht mit gravierenden Konsequenzen seiner Atompolitik zu rechnen hat, steht der Irak kurz davor, wegen seiner Massenvernichtungswaffen angegriffen zu werden. Solch eine Kritik verkennt aber den entscheidenden Unterschied zwischen beiden Staaten – und die Dringlichkeit des Problems.

Nordkorea ist ja faktisch unverwundbar geworden, weil es mit der Atombombe seine Nachbarn bedroht und den Amerikanern so ein militärisches Eingreifen im Sinne der neuen Sicherheitsdoktrin verwehrt ist. Für Washington ist die Tatenlosigkeit, zu der man in Sachen Nordkorea verurteilt ist also nur ein weiteres Argument, warum man anderswo genau diese Situation verhindern will. Nur wenn etwa dem Irak, Iran oder Syrien der Aufbau eines ähnlichen Vernichtungspotenzials verwehrt wird, kann man verhindern, dass deren Nachbarn, dass die ganze Welt erpressbar wird und gegen Schurkenstaaten nichts mehr unternehmen kann.

Den Amerikanern ist klar, dass sie mit dieser Politik schnell an die Grenzen des Völkerrechts stoßen könnten. In Sachen Scud-Raketen sind sie diesem Konflikt noch einmal ausgewichen. Schließlich hat Nordkorea keinen Vertrag unterschrieben, der untersagen würde, Raketenträger für Massenvernichtungswaffen zu exportieren. Die Lieferung an den Jemen war also legal – wenn auch politisch anrüchig. Zunächst ging es darum zu signalisieren: Uns entgeht nichts. Wer Waffen von Schurken kauft oder an Schurken liefert, muss verstärkt damit rechnen, entdeckt zu werden. Damit vermiesen die Amerikaner den Nordkoreanern zumindest deren am besten florierendes Auslandsgeschäft.

Noch ist allerdings unklar, ob die neue amerikanische Strategie die Welt wirklich sicherer machen wird. Staaten, die ganz am Anfang der Entwicklung von Massenvernichtungswaffen stehen, werden aus Angst vor einem amerikanischen Eingreifen vielleicht davon lassen. Andere, wie etwa Iran, die auf diesem Weg schon weiter fortgeschritten sind, könnten eine andere Rechnung aufmachen: Sie wissen jetzt, dass sie am besten gegen einen Angriff der USA geschützt sind, wenn sie genau das besitzen, was ihnen die Amerikaner verwehren wollen. Denn auch das zeigt das Beispiel Nordkorea: Unangreifbar wird der, der die Bombe hat.

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