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Meinung: Wer hat Schuld an der Euro-Krise?

„Im roten Bereich“ vom 16. November Statt die Euro-Zone mit deutschem Wachstum zu beglücken, verteilt die Bundesregierung milliardenschwere Geschenke an Rentner und Familien, so der Autor C.

„Im roten Bereich“ vom 16. November

Statt die Euro-Zone mit deutschem Wachstum zu beglücken, verteilt die Bundesregierung milliardenschwere Geschenke an Rentner und Familien, so der Autor C. Brönstrup, verkneift sich aber den dringend gebotenen Fingerzeig auf die „griechischen Faulenzer und Luxusrentner“, die Schuld sind, wenn beim Exportweltmeister die Aufträge zurückgehen, die Vorstände nicht mehr investieren und die Autoindustrie schweren Zeiten entgegensieht.

Schade, denn erst durch derlei gern in Kauf genommenen Niveauverlust erfüllt sich der neoliberale Anspruch des einschlägigen Kampagnenjournalismus, wenn er verschweigt, dass die Krisenursache in einem Konstruktionsfehler der EU liegt, die im Kern als eine Preisstabilitätsunion konzipiert worden ist, aber das ausgegebene Inflationsziel von ca. zwei Prozent p. a. für alle Teilnehmer weit verfehlt.

Während Deutschland durch jahrzentelange Dumpinglöhne, die signifikant hinter der Produktivität zurückblieben, weit unterhalb der Inflation lag, explodierte diese in Südeuropa mit der Folge massiver Ungleichgewichte bei den Handelsbeziehungen sowie dem Auseinanderdriften der nationalen Zinsniveaus, woraus die Casino-Kapitalisten ihre unverschämten Profite generierten und ganze Staaten in die Knie zwingen.

Deutschland hat sich seit 2000 als Überschussland ohnegleichen erwiesen und gleichzeitig haben wir weit unter unseren Verhältnissen gelebt kraft faktischer Lohnsenkung, Hartz IV, Rentenkürzung, Sozialabbau.

Was wir jetzt brauchen, sind eine jährliche Lohnsteigerung um vier Prozent in den nächsten zehn Jahren, eine stärkere Besteuerung profitabler Unternehmen und die Rückführung des Bankwesens auf seine Kernfunktion als Kreditgeber für realwirtschaftliche Investition, vor allem in den Krisenländern.

Dr. Marco Landel, Berlin-Zehlendorf

Sehr geehrter Herr Dr. Landel,

niemand bezweifelt, dass die Währungsunion ein großer Fehler gewesen ist. Zum einen, weil sie zu früh kam und ohne eine tiefere politische Einigung des Kontinents auf Dauer nicht funktionieren kann. Zum anderen hat sich gezeigt, dass Europas Volkswirtschaften zu verschieden sind für eine einheitliche Geldpolitik. Die Unterschiede sind über die Jahre eher größer als kleiner geworden. Rückblende: 2003 etwa wuchs das Bruttoinlandsprodukt der Euro-Zone insgesamt um 1,2 Prozent – in Deutschland ging es dagegen um 0,2 Prozent zurück. Für die

boomenden Südländer war der Leitzins der

Europäischen Zentralbank damals viel zu niedrig, führte zu Inflation und in Spanien zu einer folgenschweren Immobilienblase. Für Deutschland war der Zins dagegen zu hoch, jahrelang galt das Land mit mickrigen Zuwachsraten als der kranke Mann Europas.

Daran muss man sich erinnern, wenn man auf den aktuellen Stand der Schuldenkrise blickt. Die Bundesrepublik hat damals auf die quälende Stagnation mit fünf Millionen Arbeitslosen in der Spitze mit einer Reihe einschneidender Reformen reagiert. Sie haben das Land wieder wettbewerbsfähig gemacht. Nicht alle Veränderungen waren perfekt – aber sie haben gewirkt, heute sind 2,6 Millionen Menschen mehr beschäftigt als im Jahr 2000. Eine Rolle hat sicherlich auch die schwindende Macht der Gewerkschaften gespielt, sie haben dazu beigetragen, dass die Löhne lange Zeit nur verhalten gestiegen sind.

Länder wie Portugal oder Griechenland sind damals einen anderen Weg gegangen: Das nach der Euro-Einführung rapide gesunkene Zinsniveau haben sie nicht dazu genutzt, die Staatsfinanzen zu sanieren und in die Zukunft zu investieren. Sie haben sich weiter verschuldet – die Folgen dieser Fahrlässigkeit werden Europa noch auf Jahre beschäftigen. Allerdings tragen dafür nicht allein die Regierungen die Schuld – auch die Märkte für Staatsanleihen haben versagt, weil die Investoren den Südländern viel zu geringe Zinsen abverlangten.

Dass auf diese Weise gefährliche Ungleichgewichte entstanden sind, war eine geradezu zwangsläufige Entwicklung. Die Starken wurden stärker, die Schwachen schwächer. Sichtbar wurde dies mit Beginn der Finanzkrise: Wer bis dahin mit den Staatsschulden kleine Probleme hatte, bekam nun plötzlich große.

Ist nun die Lehre aus dem Euro-Fiasko, dass Deutschland seinen Vorsprung preisgeben muss, damit die Ungleichgewichte auf dem Kontinent wieder verschwinden? Das wäre gefährlich. Stiegen die Löhne auf Dauer schneller als die Produktivität, verzehrten sie die Substanz der Betriebe. Die gleiche Folge hätten übermäßig steigende Steuern für die Unternehmen. Nie war deutlicher als heute, wie wichtig Wirtschaftswachstum ist. Für Gesundheits- und Rentenkassen ohnehin, für den Traum vom geeinten Europa erst recht. Außer Deutschland stecken viele gewichtige Euro-Länder in der Rezession. Rutschte auch die Bundesrepublik ins Minus, könnte sich das Projekt Euro sehr schnell erledigt haben.

— Carsten Brönstrup ist Redakteur im

Tagesspiegel-Wirtschaftsressort.

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