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Meinung: Wer ist das Volk?

DEMONSTRATIONEN IM IRAK

Kaum ein Tag vergeht im Irak seit dem Kriegsende, an dem nicht von Protesten und Demonstrationen Tausender, oft Zehntausender berichtet wird: gegen Saddams Diktatur, gegen fremde Besatzung, für einen islamischen Staat. Ist das nicht ein doppelt gutes Zeichen? So groß ist die Sehnsucht nach freier Meinungsäußerung, nicht nur in Bagdad, auch in anderen Städten. Und so viel unbequeme bis feindliche Ansichten tolerieren die Amerikaner, trotz der Ausnahmesituation. Man könnte fast versucht sein, darin Ansätze zu einer demokratischen Gesellschaft zu entdecken. Artikuliert da ein von der Diktatur befreites Volk spontan seinen politischen Willen? Leider spricht nicht sehr viel für eine solche optimistische Deutung. In der arabischen Welt, erklärt uns die Wissenschaft, gibt es noch keine Zivilgesellschaft und keine Tradition freier Meinungsäußerung. Die Menschen orientieren sich eher an den Führern ihrer Clans und Religionsgemeinschaften. Was sich auf der irakischen Straße ausdrückt, ist wohl weniger der Volkswille als gelenktes Gruppeninteresse im Kampf um die künftige Macht. Zur Massendemo in Nassirijah kam es an dem Tag, an dem die Schiiten die Gespräche über die Übergangsregierung boykottierten, zum Massenprotest in Bagdad nach dem Freitagsgebet. Was nicht heißt, dass Amerika die Kundgebungen ignorieren darf. Es sind Machtdemonstrationen – im Wortsinn. cvm

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