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Meinung: Wer nicht für uns ist ...

Was für ein Debakel ! Innerhalb weniger Monate hat Amerika fast alle internationalen Verträge gekündigt oder verwässert.

Was für ein Debakel ! Innerhalb weniger Monate hat Amerika fast alle internationalen Verträge gekündigt oder verwässert. Die Liste ist lang. Sie reicht vom globalen Umweltschutz über die Verbote von Biowaffen und Atomwaffentests bis zum Abkommen zur Bekämpfung von Handfeuerwaffen und zur Gründung eines Strafgerichtshofes. Stattdessen will die US-Regierung in Naturschutzgebieten nach Öl buddeln und die Nuklearenergie fördern. Ohne Rücksicht auf weltweite Verstimmungen treibt sie ihre Vision einer Raketenabwehr voran, die Vereinten Nationen werden wegen angeblicher Inkompetenz verachtet, die Verbündeten nur in dem Maße geschätzt, wie sie keine Schwierigkeiten machen. Währenddessen steht der Nahe Osten in Flammen.

So hätte am 10. September eine außenpolitische Zwischenbilanz der Regierung des 43. Präsidenten der Vereinigten Staaten, George W. Bush, ausgesehen. Dann kam der Terroranschlag. Seitdem scheint alles anders zu sein.

Zum Thema Dokumentation: Kampf gegen Terror Fotos: Osama Bin Laden, Krieg in Afghanistan Plötzlich redete der Isolationist über die Notwendigkeit von gemeinsamen Werten, er umgarnte Länder wie Pakistan, den Iran und Syrien. Die Nato stellte zum ersten Mal in ihrer Geschichte den Bündnisfall fest. Unermüdlich tourte Außenminister Colin Powell um den Globus und schmiedete eine große internationale Koalition. Der schlossen sich bereitwillig auch China und Russland an, die erst zwei Monate zuvor einen Freundschaftsvertrag geschlossen hatten, der sich gegen die USA richtete.

Ein einziger Tag kann vieles verändern. Jedenfalls kann der Eindruck entstehen, als ob die Dinge auf den Kopf gestellt wurden. Das aber stimmt nicht. Das wirklich Überraschende am 11. September ist, dass die Außenpolitik der USA dadurch nicht wesentlich anders geworden ist als sie vorher war. In der Einjahresbilanz können ohne Abstriche genau dieselben Minuspunkte aufgelistet werden, die schon in der Zwischenbilanz vom 10. September standen.

Innenpolitisch bedeutet der Terroranschlag für Bush eine Zäsur. Das Zerrbild vom einfältigen texanischen Sheriff, der illegitim an die Macht kam, von Politikern gestützt werden muss, die seinem Vater dienten, und der nach wenigen Monaten bereits die Mehrheit im Senat an die oppositionellen Demokraten verlor, gehört nun endgültig der Vergangenheit an. Aus dem Zufallspräsidenten wurde ein allseits geschätzter Vater der Nation.

In seiner Außenpolitik dagegen ist Bush erstaunlich konstant geblieben. Den Krieg in Afghanistan hat Amerika im Prinzip alleine geführt. Absprachen oder Mitsprachen waren nicht erwünscht. Die Anti-Terror-Koalition als Zeichen für einen neuen Multilateralismus zu werten, wäre grundfalsch. Es wurden Zweckbündnisse eingegangen, die das Erreichen des Zieles kaum überdauern dürften.

"Wer nicht für uns ist, ist gegen uns": Auf diese griffige Formel hat Bush seinen außenpolitischen Bewertungsmaßstab nach den Anschlägen vom 11. September gebracht. Der Spruch ist so einfach wie aufschlussreich. Vielleicht hat der Terror die Tendenz sogar verstärkt, eine in erster Linie interessengesteuerte, etwas rücksichtlose Politik zu verfolgen.

Afghanistan war der Anfang. Das betont Bush immer wieder. Er versteht den Kampf gegen den Terrorismus als eine Jahrhundert-Herausforderung. Es sei der erste wirklich notwendige Krieg, den Amerika seit 1945 führe. In Vietnam, Somalia, Haiti oder Bosnien ging es um Macht, den Kommunismus oder die Humanität. Es waren keine existenziellen Konflikte.

Auch in Europa saß der Schock über den Einsturz des World Trade Centers tief. Das Entsetzen und die Solidarität haben jedoch den Graben überdeckt, der sich zwischen der letzten verbliebenen Supermacht und dem Rest der Welt seit dem Amtsantritt von Bush aufgetan hat. Dieser Graben ist eher größer statt kleiner geworden.

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