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Meinung: Werte ohne Gott?

Berlins Schüler müssen wählen können – Ethik- oder Religionsunterricht Von Jan Hambura

Als ich gestern, nachdem ich mit meinen Mathematikhausaufgaben fertig war, die Nachricht von der großen Demonstration in Madrid las, war mir sofort klar, dass so etwas in Deutschland nie möglich sein wird. In Spanien forderten mehrere hunderttausend Menschen einen für alle Schüler verbindlichen Religionsunterricht.

Meine Skepsis wird genährt von einer Erinnerung: Im Juni diesen Jahres demonstrierten knapp 1000 Berliner Schüler (von 114000 Schülern, die am Religionsunterricht der christlichen Kirchen teilnehmen) mit den Bischöfen der beiden christlichen Konfessionen und mehreren Politikern gemeinsam vor dem Roten Rathaus gegen das geplante Wertefach. Anschließend überbrachten sie einem Vertreter des Senats mehrere Listen mit 55000 Unterstützerunterschriften.

Diese Zahlen hören sich im Vergleich mit Spanien, wo die Organisatoren sogar von zwei Millionen Demonstranten sprachen, mickrig an. Und ich frage mich: warum? Schließlich gibt es eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Emnid, laut derer 60 Prozent der Berliner für eine Wahlmöglichkeit zwischen Religions- und Ethikunterricht sind. Das zeigt, dass keineswegs nur eine kleine Gruppe von Tempelherren für die Gleichstellung von Werte- und Religionsunterricht kämpft, sondern eine große Gruppe von gläubigen wie nicht gläubigen Berlinern.

Auch mir persönlich ist der Religionsunterricht wichtig. Ich besuche ein katholisches Gymnasium. Im Religionsunterricht werden mir Werte vermittelt, die Allgemeingültigkeit haben, und als gläubiger Christ bekomme ich Hilfe auf der Suche nach Gott und dem Sinn des Lebens.

Doch solche Argumente werden selten gehört. Der ganze Streit scheint in einen Kampf um die richtige Weltanschauung und um möglichst viele Wählerstimmen ausgeartet zu sein. So schlug der Berliner Vorsitzende der Linkspartei.PDS, Stefan Liebich, jetzt vor, den Religionsunterricht in Deutschland als ordentliches Lehrfach abzuschaffen und nur noch auf freiwilliger Basis anzubieten. Für diese Forderung würde er wohl aus Spanien ausgewiesen.

Und Berlins Schulsenator Klaus Böger sagte uns Schülern noch im Mai, dass wir wegen der Verkürzung der Schulzeit von 13 auf 12 Jahre mehr Schulstunden pro Woche haben würden und deshalb keine Zeit für einen für alle verpflichtenden Werteunterricht bleibe. Dieser müsse dann eben im Deutsch- oder Geschichtsunterricht stattfinden.

Viele Kritiker des Religionsunterrichts argumentieren platt. Sie werfen ihm etwa Einseitigkeit vor. Doch das stimmt nicht. Ich kann aus eigener Erfahrung berichten, dass andere Religionen und Weltanschauungen im Religionsunterricht sehr ausführlich und sachlich besprochen werden.

Für mich ist es unverständlich, dass Politiker über mehr Kinder- und Jugendmitbestimmung bei wichtigen Entscheidungen nachdenken, Kinder- und Jugendparlamente gründen, aber unsere Meinung zum Werteunterricht nicht berücksichtigen.

Ich gestehe: Die Bilder aus Spanien haben mich etwas neidisch gemacht. Nun möchte ich nicht etwa bundesweite Proteste auch hierzulande auslösen, sondern nur für eine sachliche Debatte plädieren. Und zum Schluss noch ein Appell an unsere Stadtpolitiker: Lassen Sie uns Schüler zwischen Ethik- und Religionsunterricht selbst entscheiden! Nur wer wählen kann, ist frei. Und was hat unsere Demokratie Schöneres zu bieten als die Freiheit?

Der Autor ist Vorsitzender des Kinder- und Jugendparlaments Charlottenburg-Wilmersdorf und Mitglied im Vorstand der LandesschülerInnenvertretung Berlin

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